T R A N S G E N D E R    G E S T E R N    U N D     H E U T E

 

                                                                    oder

 

                       Versuch einer Abhandlung über das unendliche Breitenspektrum                         
„vom Geschlechtsverwandlungswahn zur Geschlechtsumwandlung“ (Rainer Herrn)

 

 

  

Liebe ZuhörerInnen,

 

wie der Titel des heutigen Vortrags schon aussagt, wollen wir heute versuchen unser eigenes  „Anderssein“ etwas besser zu verstehen, indem wir ein allerdings nur flüchtiges Panorama von Geschlechtswandel-Phänomenen in anderen Kulturen, Zeiten und Sozialstrukturen aufbauen wollen – denn nichts ist wirklich „neu“ in dieser unseren „alten“ Welt und der Mensch ist zudem wohl nie zu alt noch etwas dazuzulernen....!

 

Allerdings wird dies auch wieder nur ansatzweise geschehen können, da die Transgender-Thematik – also die Bandbreite der zwischengeschlechtlichen Phänomene beim „Bewohnen“ des enormen Gebiets zwischen den beiden Polen „hier Mann“ und „dort Frau“ – derart vielfältig und komplex ist, dass man/frau darin heutzutage regelrecht versinken kann.

 

Dies nichtzuletzt, da die Flut von Publikationen über die Zwischengeschlechtlichkeit des Menschen, ob nun psychisch oder biologisch begründet, durch die (neuen) Möglichkeiten des Internets nahezu uferlos geworden ist. Wer beispielweise bei der Suchmaschine google.de das Wort „Transgender“ eingibt, erhält nicht weniger als  2'800'000 Suchergebnisse und beim Eintippen des Begriffes „Transsexualität“ sind es immerhin noch gut 170'000 Eintragungen – das wohl veraltete Wort „Transvestitismus“ liefert allerding nur noch etwa 12'000 Eintragungen auf.

 

Es sei an dieser Stelle deshalb nochmals festgehalten – wie bereits im TXKöln-Trailer geschehen – dass wir uns in diesem Vortrag insbesondere beschäftigen mit Geschlechtswandel-Phänomenen bezüglich :

-         der vorderasiatischen Fruchtbarkeitskulte der Bronzezeit

-         der untergegangenen „androgynischen Idee des Lebens“ in der Antike

-         des kategorischen Eindeutigkeitsdenkens darauffolgender monotheistischer Religionen (Judentum, Christentum, Islam)

-         des ausgeklügelten Berdachen-Systems mit vier Geschlechtern bei den amerikanischen Ur-Indianern

-         der Hirschfelschen Ansätze von vor 100 Jahren („Der Mensch ist nicht Mann oder Weib sondern Mann ùnd Weib“)

-         des ausgetüftelten und gesetzlich kanalisierten Transsexualismus-„Systems“ unserer Tage

 

Als ich Ende der 80er Jahre mit der publizistischen Aufarbeitung meines seit Anfang der 70er Jahre konsequent durchgezogenen „Frontwechsels“ begann  – nachdem ich meinen ganz eigenen Traum des „Frau-Seins“ während fast 14 Jahren auf der Bühne als Stripperin (oder etwas edler als „Schönheitstänzerin“) hatte ausleben dürfen – waren etliche umfassend recherchierte Publikationen die Folge. Insbesondere betraf dies meine beiden Sachbücher „Mythos Geschlechtswandel“ (1992) und „Künstliche Geschlechter“(1995) aus der „Hamburger Zeit“ aber ganz besonders auch meine sechs Vorträge und Abhandlungen über vielerlei unterschiedliche Teilaspekte der Intersexualitäts-Thematik in der menschlichen Gesellschaft als auch im Tierreich (ein übrigens überaus faszinierendes Thema) in meiner „Berliner Zeit“. Letztere sind übrigens nicht nur auf meiner eigenen Website http://transmythos.wildsidewalk.com/ (aus Maastricht) zu finden sondern auch auf der damit verlinkten Website www.stadt.gay-web.de/transmythos (aus Hamburg)

 

In jenen Vor-Transgender-Zeiten, also vor jetzt etwa 15-20 Jahren, waren allerdings nur Bücher und solche wissenschaftliche Publikationen aus Bibliotheken die allerersten Quellen des damals vorhandenen zwischengeschlechtlichen Informationsspektrums. Auf der Bücherliste der (schwulen) „Prinz Eisenherz“-Buchhandlung zu Berlin beispielsweise gab es damals insgesamt etwas mehr als 120 Titel über die Themen Travestie, Transvestitismus und Transsexualität verzeichnet. In den darauffolgenden 90er Jahren – und bis heute unvermindert anhaltend – gab es dann allerdings eine wahre Sintflut von Büchern und Erlebnisberichten über vor allem die Transsexualitäts-Problematik (sowohl in den USA als besonders auch in Deutschland) von „Betroffenen“, also Transsexuellen (oder solchen, die sich dafür hielten) und von solchen „wissenschaftlichen Kapazitäten“, die sich wichtig machen wollten. Und wer sich heute die Mühe macht, beispielsweise auf der Website www.transgender.de (hier aus Köln), etwas herumzustöbern, wird konfrontiert mit einer wahren Flut der unterschiedlichsten Büchern, Zeitschriften, Dokumentationen, Filmen und Websites über die heute so benannte „Transgender-Thematik“ – „ein (überaus) weites Feld“ (frei nach Günter Grass) sozusagen..!.

 

Das seit wenigen Jahren aus den USA herübergewehte Transgender-Denken unserer Tage hat – wie Ihr alle wisst – in seiner überkuppelnden Betrachtungsweise nun endlich zu einer Aufweichung (aber nicht Auflösung) des davor so stringent gehandhabten „Kästchendenkens“ in der Sexualität geführt: Die unterschiedlichen Ausgestaltungen des geschlechtlichen bzw. zwischengeschlechtlichen (Er-)Lebens haben langsam angefangen „grenzenlos“ zu werden, aber es wird noch ein langer Weg (der Erkenntnis) werden. So wie wie dies auch die Grundlage des antiken „panta rhei“-Prinzips ist: „alles fliesst“ als weise und uralte (Er-)Kenntnis-Wahrheit der Alten Griechen und attraktive „revival“-Option des Neuen Denkens im „Krieg der Geschlechter“. Einen recht kuriosen Beitrag dazu hat die bekannte US-Feministin Germaine Greer übrigens geliefert in ihrem rezenten Buch „The future of feminism“ (und auf ihrer Vortragsreise 2004 auch hier in Maastricht), wo sie allen Ernstes die „Ausschaltung“ der (biologischen) Frauen vorhersagt und die gleichzeitige „Machtübernahme“ durch „künstliche Frauen“ sprich Transsexuellen – also den totalen Sieg des „männlichen Prinzips“ prognostiziert....!

 

Ich aber bin stolz darauf, die neue sich allmählich durchsetzende Transgender-Idee ab Anfang meines transsexuellen Erlebens mittels Lebensgestaltung und Publikationsspektrum vertreten zu haben – die konsequente Durchsetzung des sozialen Geschlechtswandels war mir immer wichtiger als die einstige einseitige Fokussierung („Tunnelblick“) auf den chirurgischen Geschlechtswandel sprich OP. Das heisst natürlich nicht, dass letztere nicht seine Berechtigung hätte, im Gegenteil, doch nur als sozusagen persönlich gefärbtes  „I-Pünktchen“ auf die I-Buchstaben des ureigenen  „ich will“-Entscheidungsprozesses – selbstbestimmt und in Kenntnis aller Fakten....!

 

Schliesslich möchte ich in diesem Zusammenhang mir noch den Hinweis erlauben auf das (wissenschaftliche) Buch, das mir damals  bei meinen wahrlich intensiven Recherchen für meine Bücher die Augen geöffnet hat und zwar für die Tatsache, dass das Wandeln zwischen den Geschlechtern so alt ist wie die Menschheit, in allen Zeiten und Kulturen anzutreffen ist und wahrhaftig nichts „neu“ ist im „Leben zwischen den Geschlechtern“...!

Es ist dies das einmalige, umfangreiche und ethnologisch bzw. kulturhistorisch definierte Sachbuch „Das doppelte Geschlecht – Studien zur Bisexualität in Ritus und Mythos“ (Dietrich Reimer Verlag Berlin 1955/1986) von Hermann Baumann. Ich habe im Laufe der Zeit einen gewaltigen Respekt entwickelt für das hier eigentlich uferlose Panorama der (menschlichen) Zwischen- bzw. Doppelgeschlechtlichkeit in allen seinen Urformen bei den alten Völkern und den Naturvölkern zu wahrhaft allen Zeiten. Und ich kann es eigentlich einem jeden Transsexuellen empfehlen, der sich über sich selbst, also über sein oder ihr „Anderssein“ (hoffentlich) wundert und verstehen will, was eigentlich mit ihm/ihr los ist - denn bekannterweise kann unsereiner nie zuviel wissen....!

 

Er oder sie wird dann mit steigender Verwunderung aber (hoffentlich) auch neugierigem Staunen feststellen können, dass es wirklich seine Richtigkeit hat mit dem uns allen sicherlich  bekannten Toyota-Werbespruch „Nichts is unmöglich!“. So dass weiter anzunehmen ist - wenn er oder sie sich dann am Ende des Baumannschen Buches wieder zurechtfinden soll in der alltäglichen Transgender-Problematik -, dass man/frau sich wenigstens bewusst ist welche riesige Dimensionen das „Anderssein“-Spektrum überhaupt beinhaltet. Und wie wichtig es ist bei seiner bzw. ihrer ganz individuellen Bewältigung dessen, sich zu besinnen auf die (alte) buddhistischen (Lebens-)Weisheit „Der Weg ist das Ziel“oder wie die Belgier es so eindrucksvoll-flapsig auf grossen Schildern entlang den Autobahnen formulieren; „Nimm Dir Zeit und nicht das Leben“. Wobei es statt „das Leben“ auch „die Freude“ heissen darf....!

 

Wie bereits vorgängig vermerkt, gehen wir bei unseren (heutigen) Betrachtungen also von der wahrhaft unwiderlegbaren Gegebenheit aus: „Das Wandeln zwischen den Geschlechtern ist so alt wie die Menscheit“ – so wie ich dies auch als erster Satz in meinem Sachbuch „Künstliche Geschlechter“ (1955) formuliert habe. Allerdings müssen wir uns davon bewusst sein, dass diese vorgenannte Feststellung sich in erster Linie auf den sozialen oder religiösen Geschlechtswandel bezieht und weniger auf die körperlich-chirurgische Angleichung, wie diese heutzutage leider nur allzu dominierend in den Vordergrund gerückt worden ist – bis zur heutigen völligen Gleichstellung „künstlicher“ und biologischer Geschlechter. Wobei die einfache Kastration des Mannes übrigens schon immer und zu allen Zeiten zu den unterschiedlichsten Zwecken instrumentalisiert worden ist – ab und zu werde ich nachfolgend kurz darauf aufmerksam machen.

 

In diesem Zusammenhang sei vorgängig nochmals darauf hingewiesen, dass wir zwar das Gefühl haben können, „im falschen Körper“ zu stecken, dies natürlich aber in Wirklichkeit nicht zutreffen kann, denn es gibt – logischerweise – nur „richtige Körper“ – man/frau hat nur den einen...! Ich selber bevorzuge übrigens die „fremd im eigenen Körper“-Formulierung. Ebenso müssen wir wegkommen vom offensichtlich tief und fest eingeschliffenen Geschlechtsidentitäts-„Störungs“-Begriff (dysphorie) und uns wieder darauf besinnen, dass wir es eher mit vielen möglichen Identitäts-„Varianten“ zu tun haben – oder wie die Frankfurter Seelendoktorin Dr. Inoszka Prehm es formuliert: „Transsexualität hat so viele Gesichter, wie es Transsexuelle gibt“.

 

Die menschliche Sexualität, die natürlich einen integrierenden Teil des Transgender-Erlebens ausmacht, hatte im gesellschaftlichen Leben der bronzezeitlichen und antiken Gesellschaften allerdings einen ganz anderen Stellenwert als heute: sie wurde gelebt und nicht analysiert oder gar bewertet, wie dies heute (gerne) der Fall ist – es war eben so...! Und das vorgängig bereits angemerkte „Kästchendenken“ in Heterosexualität, Homosexualität, Intersexualität, Transsexualität, Transvestitismus, Travestie, Androgynität usw. gab es natürlich schon mal gar nicht. Auch wenn die vier letztgenannten Ausgestaltungen neuerdings also unter dem Generalbegriff „Transgender“ firmieren, wird sich da auf absehbarer Zeit wohl nur allmählich etwas ändern – allzusehr hat sich das christliche „Eindeutigkeitsdenken“ in die Köpfe einzementiert und zu einer katastrophalen „Vernebelung“der Ausgangspositionen geführt.

 

Es ist in der Folge vielfach überliefert, dass das Ausleben der Sexualität in jenen frühen Zeiten der Menschheit oft sehr zügellos und quer durcheinander erfolgte, sodass bereits in alttestamentarischen Zeiten gegen die damals offensichtlich weit verbreitete Freizügigkeit in der Sexualität vehement Stellung bezogen wurde. So heisst es in der Bibel im 5. Buch Mose (Deuteronium) 22,5:

„Eine Frau soll nicht Männersachen tragen und ein Mann soll nicht Frauenkleider anziehen: Denn wer das tut, ist dem Herrn, deinem Gott, ein Greuel“

 

sowie im 3. Buch Mose 18,22:

„Du sollst nicht bei Knaben liegen wie beim Weibe; denn es ist ein Greuel“

 

und nochmals im Vers 29:

„Denn welche diese Greuel tun, deren Seelen sollen ausgerottet werden von ihrem Volk“

 

Ebenso heisst es im 3. Buch Mose 20,13:

„Wenn jemand beim Knaben schläft wie beim Weibe, dann haben sie ein Greuel getan und sollen beide des Todes sterben: Ihr Blut sei auf ihnen“

 

und an anderen Bibelstellen heisst es u.a. noch:

„Wenn ein Mann sich zu einem anderen Mann wie zu einer Frau legt, haben beide Schändliches begangen. Sie sollten mit dem Tode bestraft werden, es lastet Blutschuld auf ihnen“ (Leviticus 20,13)

 

sowie

„Du darfst mit einem Mann keinen geschlechtlichen Umgang haben wie mit einer Frau; es wäre ein Greuel“ (Leviticus 18,22)

 

Schliesslich heisst im Römerbrief 1, 26-27 noch etwas ausführlicher:

„Deshalb überliess sie Gott den schimpflichsten Leidenschaften. Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Geschlechtsverkehr mit dem widernatürlichen. Ebenso gaben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in ihrer Begierde gegeneinander: Männer trieben mit Männern Unzucht und empfingen so den gebührenden Lohn für ihre Verirrung“

 

sowie im Korintherbrief 6, 9 bzw. 13:

„Oder wisst ihr nicht, dass Ungerechte keinen Anteil am Reich Gottes haben werden? Gebt euch keiner Täuschung hin. Weder Unzüchtige noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Knabenschänder...Der Leib dagegen ist nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn und der Herr für den Leib“

 

Bereits in diesen weitzurückliegenden Zeiten gab es somit die bereits erwähnte komplexe Verbindung von Rollentausch, Gleichgeschlechtlichkeit und Prostitution, wobei die Aufstellung vorgenannter Verbote und Gebote unzweifelhaft zusammenhing mit der beim Volke der Kanaanitern zu jenen Zeiten üblichen Tempel- und Kultprostitution. Hierbei handelte es sich um einen Fruchtbarkeitskult zu Ehren der Göttin Ashera, der Gattin der semitischen Wetter- und Himmels-Gottheit Baal. Die in weiblicher Kleidung durch Lustknaben, auch Kedeshim genannt, ausgeübte Tempelprostitution war den aus Ägypten kommende Juden höchst suspekt. Aber auch biologische Intersexuelle, Hermaphroditen somit, finden wir in den alttestamentarischen Schriften der Talmud-Gelehrten noch erwähnt. Sie wurden dort „Saris“ genannt und auch Jesus sprach noch von den „Eunuchen, die so geboren sind“. Es heisst dort:

„Er ist ein Mensch, der mit seinen 20 Jahren noch keine zwei Haare auf seinem Körper hat und bekommt er diese später, so ist er doch ein Sari. Er hat keinen Bart, seine Haare sind fein und sanft, sein Haut ist glatt; sein Wasser bekommt keinen Schaum, er uriniert nicht mit einem anderen, sein Samen ist nicht gebunden, er ist klar wie Wasser, sein Wein ist nicht sauer. Seine Stimme ist wie die einer Frau“

 

sowie in den biblischen Schriften gar über die Kennzeichen weiblicher biologischer Intersexueller (Ailoniths genannt):

„Ein Weib, welches, wenn sie zwanzig Jahre alt ist, noch nicht zwei Haare auf dem Körper hat. Sie hat keine Brüste und die Cohabition ist ihr widrig. Sie hat keinen Mons Veneris (Schamhügel). Sie hat eine männliche Stimme“.

 

Wenn wir das alles so hören, müssen wir uns in diesem Zusammenhang allerdings bewusst sein, dass in den jahrtausendalten vorchristlichen Zeiten, die Vorherrschaft des männlichen Prinzips – so wie wir das bis heute in der gesellschaftlichen Institutionalisierung des Patriarchats erleben („It’s a man’s, man’s, man’s world“ heisst es überaus ausdrucksvoll bei James Brown) – nicht immer derart ausgeprägt war.

 

Denn es gab in jenen frühgeschichtlichen Zeiten durchaus nicht nur eine Gleichwertigkeit beider Prinzipien – manifestiert in der „androgynischen Idee des Lebens“ der Antike – sondern davor über lange Zeit eine Dominanz des weiblichen Prinzips, institutionalisiert in der archaischen Verehrung der „Grossen Göttin“ bzw. „Grossen Mutter“ bzw. „Magna Mater“ als Urmutter aller Gottheiten, ob nun männlich, weiblich oder beides.

 

Hierzu sei gesagt, dass in jenen vorgeschichtlichen Zeiten Natur und Weiblichkeit eins waren oder prägnanter formuliert: „Am Anfang war das Weib“, d.h. alles geschlechtliche Werden geht von der weiblichen Ursubstanz aus. Eine von den damaligen Menschen bereits erahnte uralte Wahrheit, die in der rasenden Wissenschaftsevolution der letzten Jahrzehnte mittels aufsehenerregender Entdeckungen bereits mehrfach bestätigt worden ist: Das männliche Geschlecht entsteht erst zwei Monate nach der Zeugung durch das Umlegen eines einzigen Gen-Schalthebels namens SRY-Gen (SRY für Sex-determining Region Y-chromosome) nur aus der weiblichen Urstruktur.

 

Jedermann würde als weibliches Wesen zur Welt kommen, wenn es im Gen-Programm der Embryonen nicht diesen genetischen Schalthebel geben würde und nur wenn dieses SRY-Gen in der siebten Schwangerschaftswoche betätigt wird, kann der bis dahin weibliche Foetus männliche Geschlechtsmerkmale entwickeln. Mittels einer Kette biochemischer Reaktionen werden aus ursprünglich weiblichen Organanlagen spezifisch männliche, aus den vorgesehenen Eierstöcken entstehen Hoden und aus den während zwei Monaten primär weiblichen Embryonen entwickeln sich schliesslich erwachsene Männer. Und bei Störungen in diesen kaskadenartig ablaufenden Prozesse ergibt sich dann wieder „ein weites Feld“ unterschiedlichster Formen der biologischen Intersexualität. Mit im prinzipiellen Sinne jedoch einer ganz anderen Ausgangslage - als sozusagen vorgeburtlicher „Irrtum der Natur“ - im Vergleich mit der psychischen Intersexualität (sprich Transsexualität) als nachgeburtlicher „Irrtum des Menschen“ (ausgetragen im Rahmen eines späteren gesellschaftlichen „nature-nurture“-Konflikts). Aber die biologische Intersexualität von Mensch und Tier ist (leider) nicht das Thema des heutigen Vortrags – vielleicht ein anderes Mal...

 

Ihr könnt aus diesen kurzen Ausführungen zur Biologie des Menschen ersehen, wie weit und wie schnell wir abdriften können in der Materie und deshalb wollen wir nun endlich zu sprechen kommen auf die bereits kurz erwähnten Fruchtbarkeitskulte der Bronzezeit rund um die „Grosse Mutter“, die „Magna Mater“, als Symbol dieser vorher aufgezeigten Ur-Weiblichkeit. Denn in jenen vorgeschichtlichen Zeiten waren - wie bereits ausgeführt -  Natur und Weiblichkeit eins: die Fruchtbarkeit der Frau, deren biologische Grundlagen damals noch nicht durchschaut wurden, rief Furcht und zugleich heilige Scheu hervor. Die Menschen der Frühzeit spürten intuitiv das „Geheimnis des Lebens“, das jede Frau ganz selbstverständlich (oder auch nicht...!) in sich trägt – die Reproduktion aus sich selbst mittels der integrierten Existenz  einer „(Gebär-)Mutter“(um es etwas flapsig auszudrücken...).

 

Die frühgeschichtlichen Menschen verehrten in einem solchen Sinne die „Magna Mater“ als die Gottheit, die die ganze Schöpfung mit dem kraft- und lebenspendenden „Blut des Lebens“ (sprich Menstruationsblut in der ursprünglichen Deutung) durchdrang. Die uralten Fruchtbarkeitsgöttinnen, wie die ägyptische Isis, die sumerisch-babylonische Tiamat, die semitische Astarte, die syrische Anath, die griechische Hekate, die keltische Andrata oder die germanische Freya wurden als „Grosse Göttin“ jedoch dabei nicht nur als Erhalterin des Lebens, sondern gleichzeitig auch als Todesgöttin dargestellt. Fruchtbar und furchtbar waren Begriffe, die zusammengehörten im „Magna Mater“-Mythos oder wie der Historiker Erich Neumann es ausdrückte: „Tötung, Opfer, Zerstückelung und Blutdarbringung sind magische Instrumente der Fruchtbarkeit“

 

Es wurden in diesem rituellen Denken dabei besonders Blutopfer – nichtzuletzt Menschenopfer vorwiegend männlichen Geschlechts – gefordert, denn in jenen Urzeiten der Menschheitsgeschichte galt nur das Blut – und ganz besonders Menstruationsblut – als Medium der Fortpflanzung des Lebens von Sippe oder Stamm („Blut des Lebens“). Auch in heutigen Zeiten finden wir noch solche Assoziationen mit Begriffen wie „Blutschande“ (Inzest), „Blutrache“ oder „Blutsbruderschaft“ erhalten geblieben.

 

Auch in den vielen weltweiten Schöpfungsmythen ist diese uralte Blut-Symbolik enthalten. Beispielsweise in der babylonischen Vorstellung der „Grossen Göttin“ Ninhursag (das Gegenstück zur ägyptischen Muttergöttin Hathor), die die Menschen aus Lehm gemacht habe und ihnen das „Blut des Lebens“ einflösste. Sogar der biblische Name Adam liegt diese Art Magie zugrunde, denn das weibliche „adamah“ bedeutet „blutiger Lehm“, wurde jedoch später im euphemistischen Sinne mit „roter Erde“ übersetzt. Eine ähnliche Blut-Symbolik finden wir beispielsweise heutzutage gleichfalls noch erhalten geblieben im Auslegen des „roten Läufers“ für hohe Staatsgäste – lang, lang ist’s her....

 

Zurückkommend auf die eigentliche Thematik dieses Vortrags kann deshalb – in stark vereinfachter Form allerdings – gesagt werden, dass für die alten Völker des Orients in ihrer alles umfassenden Verehrung der „Grossen (Mutter-)Göttin“ die vorbeschriebene Blut-Symbolik einen überaus überragenden Stellenwert in ihrem gesellschaftlichen Verständnis von Leben, Tod, Fortpflanzung und Transgender-Manifestation hatte.

 

Deswegen versuchten die Männer an diesem Fruchtbarkeits-Syndrom der Frauen teilzuhaben und dies ganz besonders über die Handhabung der rituellen Kastration. Die primitive Absicht dabei war zweifellos – im magischen Sinne und in Anlehnung an mythologischen Ueberlieferungen – einen männlichen Körper in einen weiblichen zu verwandeln, indem die (überflüssigen) baumelnden Genitalien durch ein blutendes „Loch“ – als Imitation des Menstruationsvorganges – ersetzt wurden. Sämtliche Mythologien der Welt legen in der Folge dann auch den Schluss nahe, dass die Männer, bevor sie ihrere reproduktive Rolle verstanden, versucht haben, sich selbst zu „Frauen“ zu machen – in der Hoffnung dadurch eine ähnliche Fruchtbarkeit wie die biologischen Frauen zu erhalten.

 

Diesbezüglich gut überliefert ist beispielsweise der Fruchtbarkeitskult um die „Grosse Göttin“ Kybele, beheimatet im sumerischen Kleinasien, im Königreich Phrygien rund um die Stadt Hierapolis. Das damit verbundene Fruchtbarkeitsbrauchtum, vergleichbar mit dem griechischen Artemis- bzw. dem römischen Diana-Kult, verbreitete sich in späteren Zeiten durch den Aufstieg Roms zur „Weltmacht“ (aber nichtzuletzt auch durch das ungezügelte Zutun verschiedener bizarrer Kaiser wie Caligula und Caracella) im gesamten römischen „Weltreich“ jener Tage.

 

Der Kult geriet vor allem durch die in Frauenkleidern auftretenden Weibmann-Priester, Galli genannt, zu einem riesigen religiösen Spektakel, wobei vor allem beim sogenannten Frühlingsfest auch das Volk ausser Rand und Band geriet. Es wurden ekstatische Zeremonien bis zum oft tödlichen Exzess zelebriert, wobei die Kastration des Mannes mit wahrer Inbrunst betrieben wurde, d.h. die Priester und mit ihnen viele Gefolgsleute entmannten sich dabei selber (wie dies heutztage noch die indischen Hrinjas praktizieren) und warfen ihre abgeschnittenen Genitalien während der Umzüge in die Häuser, deren Besitzer sie daraufhin mit weiblicher Kleidung ausstatten mussten.

 

Dieser Kastrations-Mythos wurde auf den entmannten Hohepriester Attis der „Grossen Göttin“ Kybele zurückgeführt, der wegen seiner Untreue zur Strafe „impotent“ gemacht wurde bzw. werden sollte. Andere Quellen sprechen davon, dass die Mutter-Göttin, die „Dea Syria“, die abgeschnittenen Genitalien der entmannten Priester und deren Jünger gewaschen und gesalbt und sie dann der Erde übergeben habe, sozusagen als (überaus blutiges) Vegetationsopfer. Als sich dann diese syrische Ursprungsform des Kybele-Kults ab 200 v. Chr. auch in der Stadt Rom selbst auszubreiten begann, wurden die Kastrationstechniken allmählich verfeinert, d.h. dieselben wurden daraufhin bei lärmender, ekstatischer Musik und Gesang mittels eines gezielten Schnittes mit dem Zeremonienschwert durchgeführt. Die ursprüngliche Kultstätte der Kybele ist übrigens auch heutztage noch im heutigen Syrien bei der Stadt Tambuk-Kalessi zu besichtigen.

 

Eines der am besten gehüteten Geheimnisse der frühen Christenheit war übrigens die Aufforderung an den speziellen inneren Kreis der Eingeweihten sich selbst zu entmannen um durch diesen Beweis der Keuschheit die grössere Gottesgnade zu erhalten. In der Bibel heisst es dazu: „Manche sind von Geburt an zur Ehe unfahig....manche haben sich selbst dazu gemacht – um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es“ (Matthäus 19,12).

 

Eine solche aufsehenerregende Belebung der rituell-religiösen Kastration fand übrigens zu neueren Zeiten statt innerhalb der 1775 gegründeten  russisch-rumänischen Sekte der Skopzen, wobei diese der Meinung waren, dass die Entfernung ihrer Genitalien ihnen weitreichende spirituelle Kräfte verleihen würde – der „verrückte Mönch“ Rasputin, Berater der Zarenfamilie, war Mitglied dieser sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in bedrohlicher Weise ausbreitende Skopzen-Sekte...

 

In diesem vorher zitierten Zeitraum der Bronzezeit und der Antike wurde wie gesagt die Nähe zur Natur mit ihrem rhythmischen Auferstehen und Erstarren oft über den dauerhaften oder auch nur temporären Geschlechtswandel gehuldigt. In darauffolgenden Zeiten, als das männliche Prinzip sich immer mehr durchzusetzen begann, verlagerte sich das Ganze dann immer mehr in die „himmlischen Sphären“, weg von „Mutter Erde“ (biblischer Text: „Macht Euch die Erde untertan“). Und das Christentum sollte dann die äusserste Hybris, den symbolischen „Muttermord“, begehen, indem es eine ausschliesslich männliche Theologie schliesslich begründete – allerdings unter den gravierendsten und eklatantesten Umdeutungen natürlicher, menschlicher und geschichtlicher Wahrheiten. In der Villa Albani zu Rom beispielsweise befindet sich eine antike Skulptur der damaligen Himmelskönigin Diana – in der Gestalt der vielbrüstigen Artemis –, von der die christlichen Evangelien „die völlige Zerstörung aller Tempel der Diana, der Grossen Göttin, die von der ganzen Provinz Asien und von der ganzen Welt verehrt wird“ verlangten. Weiter heisst es darin:

„Aber es will nicht allein unserm Handel dahingeraten, dass es nichts gelte, sondern auch der Tempel der Grossen Göttin wird für nicht geachtet werden, und wird dazu ihre Majestät untergehen, welcher durch ganz Asien und Weltkreis Gottesdienst erzeigt“ (Apostel 19,27).

 

Die streitbare amerikanische Feministin Camille Paglia („Die Masken der Sexualität“, Berlin 1993) sagt zur regelmässig aufflammende Natur-Kultur-Diskussion im religiös-geschichtlichen Sinne (Transgender-Denken als Folge) hierzu u.a.:

„Das Buch der Genesis ist eine männliche Unabhängigkeitserklärung von den uralten Mutterkulturen. Am Anfang war nicht das Wort, sondern die Natur (d.h. „das Weib“). Deren unermesslicher und unergründlicher Charakter wurde nicht von einem „Männer“-Gott verkörpert, sondern durch die Fruchtbarkeit einer „Grossen Mutter““

 

Der Transvestitismus als solcher war jedenfalls aus den damaligen vorchristlichen Stadtkulturen nicht wegzudenken und auch im geselschaftlichen Sinne gleichfalls völlig integriert – inklusive der damit zusammenhängenden Prostitutionsvorgänge. Wir hörten bereits von der Tempelprostitution der „Kedeshim“-Lustknaben in weiblicher Kleidung und Aufmachung zu Ehren der Muttergöttin Ashera in Kanaan, auf die die unterschiedlichen, bereits erwähnten biblischen Ver- und Gebote wohl zurückgeführt werden können.

 

Bei den Babyloniern galt die Göttin Ischtar als doppelgeschlechtlich und (bereits) dem „himmlischen“ Venus-Stern geweiht: abends weiblich, morgens männlich. Dabei wurde sie oft dargestellt in einer vertikalen Teilung mit einer linken, weiblichen und einer rechten, männlichen Hälfte sowie mit aus ihren Schultern wachsenden Pflanzen, oft auch mit Bart – ihr Geliebter war der Vegetationgott Tammuz (Urform von Thomas). Typisch für diesen Kult um die „Magna Mater“ Ischtar waren die weibmännlichen Kultpriester, die Kurgaru oder Asinnu genannt wurden und deren „Männlichkeit“ Ischtar in „Weiblichkeit verwandelt hatte.

 

Ausser bei den orgiastischen Festen zu Ehren Ischtars wirkten diese Kultdiener auch mit beim Neujahrsfest zu Babel sowie bei den in damaliger Zeit üblichen grösseren Kranken- und Hexen-Beschwörungszeremonien. Und im rein geschlechtlichen Sinne war ihr Verhalten zweifellos homosexuell, doch wie bereits vorgehend auseinandergesetzt, dachten die damaligen Menschen – so ist wohl anzunehmen - sich nichts bei diesen gleichgeschlechtlichen Kontakten – es war eben so! Allerdings dürfte in diesem Denken natürlich die damalige Fortpflanzungsungewissheit hinsichtlich des männlichen Anteils daran sicherlich eine entscheidende Rolle gespielt haben.

 

Stets gilt es jedoch bei den vielen Geschlechtswandel-Manifestationen im Rahmen der Fruchtbarkeitskulte im Kleinasien der Bronzezeit bzw. der griechisch-römischen Antike an die dem Ganzen zugrundeliegenden „androgynische Idee des Lebens“ zu erinnern.

Diese besagt, dass die Zusammenlegung beider geschlechtlicher Potenzen eine höhere Wirkächtigkeit darstellt als jede für sich, d.h. die Geschlechter sind für ihre gesellschaftliche Verwirklichung auf einander angewiesen. Und dies manifestiert sich durch die gelebte Androgynität als die Sehnsucht nach der Einheit, nach der Ueberbrückung der Gegensätze bzw. derer Ueberwindung – nach Harmonie somit. Wobei diese Sehnsucht auch die Suche nach dem Früheren, nach dem Verlorengegangenen, nach dem Paradies der Mehrwert-Lebensmöglichkeiten beinhaltet – sozusagen nach dem Anfang von Allem. Und dieses ursprüngliche Denken ist auch dafür verantwortlich, dass in den Welterklärungsmustern jener alten Zeiten dies alles eine überaus herausragende Rolle spielte, nichtzuletzt als Reaktion darauf in den vielen alttestamentarischen Schriften bzw. darauffussenden biblischen Texten, wie wir schon mehrmals erwähnten.

 

Besonders ausgeprägt finden wir diese „androgynische Idee des Lebens“ in der griechischen Mythologie aber auch im Alltag – die allgegenwärtigen doppelgeschlechtlichen Tendenzen besonders im antiken Griechenland (aber auch im antiken Rom) haben dabei vor allem die Kluft zwischen heterosexueller und homosexueller Liebe überbrückt, die in der gängigen „Meister-Schüler“-Beziehung (auch Päderastie genannt) ihre gesellschaftlich anerkannte  Institutionalisierung fand. Der zur Zeit laufende Missbrauchs-Prozess gegen den amerikanischen Popstar Michael Jackson beweist, wie aufsehenerregend diese Problematik heutzutage zum Tragen kommen kann.

 

Gerade die Griechen spielten die Männlichkeit des Mannes und dieWeiblichkeit der Frau – bei anderen Völkern und im Monothismus geradezu zwingend betont – eher herunter. Und in der idealisierten, in zahlreichen Abbildungen und Statuen verherrlichten Darstellung des Hermaphroditen wurde die Trennung gar völlig aufgehoben, allerdings mit einer Teilung diesmal im horizontalen Sinne, d.h. meistens oben „weiblich“ mit Busen, unten „männlich“ mit Genitalien und mit „männlicher“, schlanker Figur (das Urbild der Magna Mater dagegen zeigt dagegen immer stark ausgeprägte weibliche Geschlechtsmerkmale (vor allem üppiges Becken)).

 

Aus diesem Androgyn-Kult der Gleichwertigkeit des männlichen und des weiblichen Prinzips ging auch die Vorliebe der Griechen für rituelle transvestitische Veranstaltungen vielerlei Art hervor – bei religiösen Festen pflegten selbst Männer, die sich ausschliesslich heterosexuell verhielten, in Frauengewändern zu erscheinen. Wie beispielsweise im Rahmen der speziell auf die Oberschicht bezogenen Dionysos- und Herakles-Kulte in Athen und Rom.

Zum Herakles-Kult auf der heutigen Ferieninsel Kos hiess es beispielweise in der entsprechenden Üferlieferung: „Ebenso kleideten sich bei den Mysterien des Herakles die Männer in Frauenkleidern, damit der Samenkeim nach der Rauhheit des Winters zu erweichen anfängt“ - ein deutlicher Hinweis auf den damals allgegenwärtigen Bezug zwischen Geschlechtswandel (im sozialen Sinne hier also) und Jahreszeitenwechsel (wie bereits bei den Sumerern aufgezeigt). Aber auch von diversen bekannten griechischen Philosophen wie Platon, Sokrates und Agathon ist eine solche Travestie überliefert worden.

 

Bezüglich des gleichfalls allgegenwärtigen Päderastie-Vorkommens in der griechischen Gesellschaft sei noch vermerkt, dass zu den weniger respektablen Auswüchsen nichtzuletzt auch eine überaus florierende Knabenprostitution auf Athens Strassen gehörte. Die Knabenprostituierten gingen dabei in weiblicher Kleidung und Aufmachung die Strassen auf und ab und wurden als „Schande“ betrachtet, hervorragend und witzig dokumentiert durch ein Athenisches Sprichwort jener Tage, in dem es hiess: „Es ist leichter, fünf Elefanten in der Achselhöhle zu verstecken als einen jener Knaben“.

 

Möglichst schrill war also bereits zu jenen Zeiten angesagt und wie sich die Geschichte wiederholt, zeigen die 90er Jahre im Pariser „Bois de Boulogne“, dem damaligen Transvestiten- und Transsexuellen-Dorado par excellence mit zeitweise an die tausend (männlichen) Prostituierten – oder wie es süffisant in den Medien hiess: „Das grösste Bordell der Welt“.... Mit rigorosen und manchmal brutalen Polizeiaktionen wurde „die Schande“ – so der damalige Bürgermeister von Paris und heutiger französischer Staatspräsident Jacques Chirac – wieder beseitigt und zu relativ „normalen“ Verhältnissen zurückgekehrt. Und auch im Spiegel (38/1995) erschien in jenen „wilden 90er Jahren“ eine ausführliche Reportage über ähnliche Zustände im Gewerbegebiet „Gross Rimini“ an der italienischen Adria-Küste – Man(n) gönnt sich ja sonst nichts...!

 

In seinem Esay „Über die androgynische Idee des Lebens“ hat übrigens der Amsterdamer „Professor L.S.A.M. von Römer“ im Jahre 1903 – im Rahmen der von Magnus Hirschfeld herausgegebenen „Jahrbücher für sexuelle Zwischenstufen“ (V. Jahrgang, 1903) -  auf diese so überaus zahlreichen zwischengeschlechtlichen Aspekte in der griechischen Mythologie und Gesellschaft hingewiesen. In einer Neu-Edition dieser Jahrbücher der Jahrgänge 1899-1923 (Frankfurt a. Main/Paris 1984) heisst es dazu im Vorwort (ich zitiere):

 „Die von 1899-1923 erschienenen Versuche zu einer synoptischen (gleich vergleichenden) Neuortung eines fliessenden Übergangs von Mann und Frau. Entstanden im Berlin der Jahrhundertwende sind sie selbst der Spiegel eines schillernden Zwitters von engagierter Subjektivität und voyeuristischer Wissenschaft. Stärker als auch im ersten Band der Auswahl steht im Mittelpunkt dieses zweiten Bandes die These vom „Dritten Geschlecht“ (durchaus vergleichbar mit der „Kleinen Lösung“ des TSG) und vom „Androgynen Mythos“. Die mann-weibliche Zwischenstufentheorie wird hier anthropologisch und kulturhistorisch fundiert. Sichtbar werden soll der Phänotyp des „Intersexuellen Menschen“. Die Faszination , die von jeher körperliche und seelische Zwischenformen der Geschlechter ausüben, hat auch eine religiöse, eine mythische Dimension. In fast allen Weltentstehungsentwürfen wird die esoterische Vorstellung einer höchsten androgynen Gottheit erkennbar. Das nichtzuletzt dadurch bestimmte Ideal der männlich-weblichen Ganzheit klingt an in der sich bis heute fortsetzenden Suche nach einer umfassenden Geschlechtsidentität. Die Besonderheit dieses Menschenbildes wird von den Autoren gefordert, beschrieben, interpretiert“

 

Dem ist nichts hinzuzufügen und wer es dann noch immer nicht glauben will, der gehe in die Museen. Denn derartige Zeugnisse der Doppelgeschlechtlichkeit in der griechischen Kulturlandschaft, wo das Motiv des Hermaphroditos von den griechischen Bildhauern und Malern in zahlreichen Statuen und Bildern verewigt worden ist, finden sich beispielsweise insbesondere im Louvre-Museum zu Paris, wo diverse Bronzen von Hermaphroditen mit hochgehobenen Kleidern in fast pornografischen Posen zu sehen sind, sowie im römischen Museo Nazionale. Aber ebenso sind in den niederländischen Antiken-Museen von Leiden und Amsterdam verschiedene unbekleidete Statuen im doppelgeschlechtlichen Sinne zu bewundern, d.h. mit Busen und weiblichen Körperformen aber mit Glied, ähnlich wie die typische Louvre-Bronze mit Hermaphroditos, Satyr und Priapos. Weiter gibt es solche Darstellungen  gleichfalls im Berliner Pergamon-Museum zu sehen, während das doppelgeschlechtliche Dionysos-Motiv beispielsweise auch zu finden ist im berühmten „Relief Colonna“-Wandgemälde (Colonna = römisches Adelsgeschlecht – siehe auch Stich von Montfaucon dazu). Die Darstellung der „androgynischen Idee des Lebens“ findet sich als doppelgeschlechtliches Hermaphroditos-Motiv weiter auch auf einem Gemälde in der antiken römischen Stadt Herculaneum, die durch den Vesuv-Ausbruch 79 v. Chr. verschüttet wurde.

 

Und denken wir an die berühmte Legende um die Gottheit Hermaphroditos selber, Sohn der Gottheiten Hermes und Aphrodite, und die damit verknüpfte Legende um die Salmakis-Quelle, über die diese beiden Götter verfügten, dass fortan jeder Mann, der in der Quelle baden würde, dem Wasser als „semi vir“ (halb Mann, halb Frau) entsteigen sollte und weibliche Charakterzüge entwickeln würde. Ganz zu schweigen von der ebenso berühmten Legende des Sehers Teiresias: männlich geboren, wurde er von den Göttern in eine Frau und dann wieder zurück in einen Mann verwandelt wurde....Schliesslich sei noch verwiesen auf das androgyne Gedankengut in Platons „Gastmahl des Aristophanes“-Werk, in der es drei Geschlechter in Kugelgestalt gab, d.h. neben den Männern und den Frauen auch noch die androgynen Mann-Frau-Gestalten usw. – kurzum: die griechische Mythologie ist unerreicht in ihrer kulturhistorischen Darstellung der „androgynischen Idee des Lebens“

 

Kommen wir jetzt zu einer ganz anderen zwischengeschlechtlichen Thematik und zwar zur Tatsache, dass bei den Ur-Indianern Amerikas – und hier ganz besonders ausgeprägt bei den Indianern Nord-Amerikas – es nicht zwei bzw. drei sondern gar vier Geschlechter gab bzw. gibt, d.h. zusätzlich zu den beiden bestehenden Geschlechtern noch das des sogenannten Weibmannes (Man-zu-Frau-TS) und das des Mannweibes (Frau-zu-Mann-TS), wobei die Begriffe Weibmann und Mannweib übrigens aus dem Standardwerk „Die Medizin der Talmudisten“ (Berlin/Leipzig 1885) von Joseph Bergel stammen und noch allgemein gebräuchlich sind im wissenschaftlichen Sinne. Die Berichte über die angetroffenen sozialen Zustände und sexuelle Verhaltensweisen der dort ansässigen indianischen Prärievölker stammen dabei hauptsächlich aus dem 18. und 19. Jahrhundert im Rahmen des „Grossen Trecks“ auf dem nordamerikanischen Kontinent in Richtung Westen.

 

 

Verschiedene der dort beobachteten Bräuche sind sogar bis in heutigen Zeiten, allerdings sehr versteckt, erhalten geblieben, jedoch erst in neuerer Zeit ist ein echtes Interesse der Amerikaner an ihren eigenen indianischen Ur-Kulturen festzustellen. Für den grösseren Teil des alten Brauchtums dürfte dies jedoch bereits zu spät sein: Die Ursprünglichkeit der Indianer ist weitgehend verschwunden, die Anpassung an den westlichen Standards zu weit fortgeschritten und das überlieferte Wissen in und ausserhalb der Reservate bereits grösstenteils eliminiert worden. Diesbezüglich hat der siebenfach Oscar-gekrönte Spielfilm Kevin Costners „Der mit dem Wolf tanzt“ die Botschaft der Indianer (speziell der Sioux) – von mir als (naturverbundenes) „indianisches Denken“ bezeichnet - , wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt und zu einem gewissen Umdenken geführt – viele alte Bräuche der indianischen Ur-Indianer sind wieder sichtbar geworden und derart wurde beispielsweise auch der der traditionelle „two-spirited-people“-Mythos (wieder-)belebt.

 

Hierzu sei im erläuternden Sinne zu sagen, dass die spanischen „Conquistadores“ (Eroberer) nach der Entdeckung der Neuen Wel“ durch Christoph Columbus Ende des 15. Jahrhunderts dort auch die historische Institution des „bardaje“ antrafen, inklusive einer allgegenwärtigen Homosexualität, gegen die die Spanier – insbesondere der Klerus - gnadenlos vorgingen. Der erste spanische Historiker der Neuen Welt, Pietro Martiere d’Anghiera, der den „Conquistador“ Vasco Nunez de Balboa im damaligen Panama begleitete, wusste folgendes zu berichten (ich zitiere):

„Widernatürliche Unzucht: Vaschus (Vasco) fand das Haus dieses Königs verunreinigt durch die abscheulichste widernatürliche Unzucht (sprich Analverkehr). Denn er fand des Königs Bruder und viele andere junge Männer in Frauengewändern, elegant und weibisch gekleidet, welche dem Bericht jener zufolge, welche in seiner Umgebung lebten, er mit widernatürlicher Liebe missbrauchte. Von diesen befahl Vaschus etwa vierzig an der Zahl seinen Kampfhunden zum Frass vorzuwerfen“

 

Dazu gibt es unzählige Chroniken und Reiseberichte über diese spezielle Art der männlichen Homosexualität vor allem in den höheren Kreisen – in Anlehnung an das arabische Wort “bardaj“ bzw. „barah“ (Lustknabe, männliche Prostituierte, junger Gefangene) wurden die dabei einbezogenen jungen Männer – mit sozialem Geschlechtswandel und sich beim Geschlechtsverkehr passiv verhaltend – wie bereits vorher erwähnt  Bardaje genannt. So schrieb Fernando de Ovieda in seiner „Historia general y natural de los Incas“ (ich zitiere):

„In vielen Teilen des Festlandes praktizieren die Indianer Sodomia. Sehr üblich ist die abscheuliche Sünde wider der Natur sogar in der Oeffentlichkeit. Die Indianer, soweit sie Häuptlinge sind oder dem Adel angehören und dergestalt sündigen, haben Jünglinge, mit denen sie dieser verdammungswürdige Sünde frönen, und jene willigen Jünglinge, sobald sie in der Schuld verfallen, kleiden sich in naguas (Röcke), wie Frauen...und sie legen sich Perlenketten und Armbänder und anderen Frauenschmuck an; sie üben sich weder im Gebrauch von Waffen, noch tun sie etwas, was Männern angemessen wäre, sondern sie verrichten die üblichen Aufgaben im Hause wie Fegen und Waschen und sonstige weibliche Arbeiten“.

 

Der Mann in Frauenkleidern“, der Bardaje, war somit mehr oder weniger gesellschaftlich anerkannt und da die Homosexualität besonders in den höheren Kreisen als solche überaus

gesellschaftsfähig war, bildete nur der soziale Status – inklusive der damit verbundenen passiv-homosexuellen Rolle - das auslösende Element zum sozialen Geschlechtswandel. Ähnliche Konstellationen finden wir auch heute noch bei verschiedenen Stammesvölkern Mittel- und Süd-Amerikas wie beim Stamm der Puelche im argentinischen Patagonien und bei den benachbarten Araukanern in Chile (Machi-Status) aber auch in den arabischen Golfstaaten wie speziell Oman (Xanith-Status).

 

Zurückkommend auf die nordamerikanischen Ur-Indianer kann gesagt werden, dass hier die Existenz des vorgenannten Bardajentums – dort Berdachen genannt – relativ ungestört weiterleben konnte in den darauffolgenden Jahrhunderten, da die Spanier und Portugiesen nicht so weit nördlich auf Dauer vordrangen. Das nordamerikanische Berdachentum der Indianer war auch dort allgegenwärtig und zwar in einer überraschenden Häufigkeit von bis 1:100 – allerdings waren die Erscheinungsformen von Stamm zu Stamm stark varierend. Auch die Bezeichnungen für die im Sinne Joseph Bergels als Weibmänner bezeichneten Personen waren sehr unterschiedlich: So hiessen sie bei den Zuni-Völkern in der Gegend von Las Vegas „La’mana“, die Indianer des Krähen-Stammes in Indiana nannten sie „Bote“ (wörtlich übersetzt: „weder Mann noch Frau“), die Navahos hatten die Bezeichnung „Nadle“ oder auch „Nadleehè“, während die Pueblo-Indianer die Institution des „Mujaredo“ („der zum Weib gemachte“) kannten. Die heute allgemein übliche Bezeichnung „Winkte“ (vom Oglala-Wort „winktepi“) ist neueren Datums und zwar seit das Berdachen-Phänomen in den USA intensiver untersucht wurde (galt bis anhin nur als „indianische Homosexualität“...).

 

Diesbezüglich ganz intensiv unter die Lupe genommen wurde dabei der Stamm der Mohave, links und rechts des Colorado-Flusses in Kalifornien und Arizona – die Berdachen wurden dort „Alyha“ genannt und waren eingebettet in ein gesellschaftliches System unglaublich freizügiger Sitten und Gewohnheiten, wobei sämtliche abweichenden sexuellen Erscheinungsformen vertreten waren: Die Liste ihrer sexuellen Riten und Freizügigkeiten liest sich fast wie ein pornografisches Sex-Handbuch aus heutigen Zeiten.

 

Die Alyha-Berdachen waren keineswegs – wie heute in den westlichen Gesellschaften normalerweise der Fall – an den Rand der Gesellschaft gedrängt, sondern nahmen eine anerkannte gesellschaftliche Stellung an, bis zur Position des „Medizinmannes“. Es gab hierzu ein hochentwickeltes Initiationsritual, das sehr oft auf Basis von Träumen der Mutter die Bestimmung der Alyha-Kandidaten festlegte. Die Mohave glaubten, dass, wie sie sagten, „im Herzen des Kindes der Wunsch entstand als Alyha zu leben“, es anfangen würde, sich auch anders zu verhalten und beispielsweise die Spielsachen des eigenen Geschlechts bzw. dessen Kleidung abzulehnen. Ein solcherart „betroffener“ Junge bevorzugte dann eben Puppen und spielte damit wie ein Mädchen, während im umgekehrten Falle (gab es allerdings wesentlich weniger) das Mädchen Puppen ablehnte und mit Pfeil und Bogen spielte.

 

Abgesehen davon, dass eine Alyha-Neigung  somit als von höheren Mächten initiiert angesehen wurde, so akzeptierte aber auch die indianische Gesellschaft auf der Grundlage eines bereits im frühen Kindesalter (etwa 10 Jahre) ausgeklügelten Initiationsrituals den Übergang des männlichen Kindes in die Gruppe der Frauen bzw. des weiblichen Kindes in die Gruppe der Männer – es war dies alles bestens organisiert. Stets wurde jedoch auch scharf darauf geachtet, dass die Rolle des angenommenen Geschlechts perfekt dargestellt wurde und vom Moment der Initiation mussten die betreffenden „Transsexuellen mit sozialem Geschlechtswandel“ (kann man/frau ruhig so sagen...) das Verhalten des anderen Geschlechts dann auch bis in die kleinsten Einzelheiten kopieren – „hört, hört“ kann ich dazu nur süffisant bemerken...!

 

Bei den Yurok-Indianern waren die Berdachen – dort Wergern genannt -  überaus stark vertreten – es heisst gar, dass einer von hundert Männern es in diesem Stamm vorzog die Rolle der Frau zu übernehmen, sowohl in sozialer als auch in sexueller Hinsicht. Die Wergern-Berdachen wurden hochverehrt und stiegen zu äusserst angesehenen Medizinmännern und sogar Häuptlingen auf: ihnen wurden dabei oft auch die höchsten Ehren übertragen, die diese festgefügten Stammesgesellschaften zu vergeben hatten, d.h. das Berühren und Bestatten von Verstorbenen. Bei Begräbnissen und Trauerfeiern fiel ihnen in der Folge normalerweise auch die Funktion des Vorsängers und Vortänzers zu. Ein ganz tolles Buch mit vielen hochinteressanten Gegebenheiten zu dieser indianischen Berdachen-Thematik ist übrigens die Dissertation der Ethnologin Dr. Sabine Lang aus Hamburg mit dem Titel „Männer als Frauen, Frauen als Männer. Geschlechtsrollenwechsel bei den Indianern Nord-Amerikas“ (Hamburg 1990).

 

Weiter fand ich bei der Recherchearbeit für meine beiden TS-Bücher in einem taz-Artikel vom 08.03.1994 mit dem Titel „Weibmänner und Mannweiber“ viele hochinteressante Einzelheiten über das derzeitige Berdachentum bei den Navaho-Indianern – sie werden dort jetzt Nadleehè genannt. Der Stamm der Navaho-Indianer (eigener Name „Diné“) ist übrigens der heute volksreichste (bis zu 160'000 Stammesmitglieder) und durch Ölkonzessionen reichste indianische Gemeinschaft in den USA. Im genannten Zeitungsartikel hiess es seitens des Nadleehès Wesley Thomas u.a.:

„Ein richtiger, traditioneller Nadleehè (heisst gewandelt) ist in der Navaho-Gesellschaft auch heute noch ein Mensch, der als Mann geboren ist, aber zu hundert Prozent als Frau gilt. Nicht wegen seiner sexuellen Vorlieben, sondern wegen der Arbeit, die er verrichtet. Dasselbe gilt umgekehrt für weibliche Nadleehè, die als Mann leben und arbeiten“.

 

Aus dem Interview geht weiter hervor, dass die Navaho-Indianer auch heutzutage tatsächlich noch vier Geschlechter kennen: Die Frauen als das erste, die Männer als das zweite, die Mannweiber als das dritte und die Weibmänner als das vierte (man/frau achte auf die vielsagende Reihenfolge...!). Ausser dem biologischen Geschlecht („sex“) gibt es im ebenbürtigen Sinne noch die soziale Geschlechterrolle („gender“) und damit hoffentlich ein perfektes Abbild des jetzt aus den USA herübergekommenen Transgender-Denkens in unseren Köpfen – lang, lang hat’s gedauert...! Allerdings gibt es zu beachten, dass  das ursprüngliche indianische Berdachentum sich nur auf der Grundlage der damaligen strengen, geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung indianischer Ur-Kulturen entwickeln konnte – die entsprechende Spezialisierung war typisch indianisch und heutzutage in den modernen Gesellschaften natürlich nicht mehr aufrecht zu erhalten....

 

Die Nadleehès gelten als sogenannte „two-spirited-people“, also als Wesen, die zwei „Geister“ oder Seelen in sich vereinen, und gelten – wie in früheren Zeiten – als besonders inspiriert und befähigt. Sie werden wie schon immer zu religiösen Handlungen herangezogen und gelten in den Augen der Stammesmitglieder als „wohlhabend“ – allerdings nicht mehr  unbedingt im materiellen Sinne wie einst sondern eher in der Bedeutung von „reich an Wissen“. Eine sehr schöne Assoziation, die ich auch für mich in Anspruch nehme:

 

Ich bin sozusagen ein Nadleehè aus Maastricht zu Besuch beim Stamme der TXKöln-Indianer...

 

Weiter berichtet Wesley Thomas, dass er feste Beziehungen zu männlichen Personen  unterhält und dabei sein Nadleehè-Status dominiert, d.h. der sogenannte Genderbereich in den Beziehungen ausschlaggebend ist. Hierzu führt er aus:

„Wer schwul oder lesbisch ist, verkehrt mit Personen vom selben Sex und selben Gender. Wenn ich als Nadleehè einen Mann liebe, gehören wir zwar zum selben biologischen Geschlecht aber nicht zum selben sozialen Geschlecht. Wir werden eben nicht als gleichgeschlechtlich betrachtet. Ich werde ja auch nicht als Mann klassifiziert: ich bin eine Frau. Meine Lebenspartner sind deshalb auch keine homosexuelle sondern heterosexuelle Männer“.

 

So weit so gut, aber – und das dürfte für die Ohren der hier Anwesenden vielleicht doch irgendwie überraschend klingen – das Ganze („Theater“ hätte ich fast gesagt) geht soweit, dass, würde Wesley Thomas als Weibmann eine (biologische) Frau lieben, er für seine Familie und seinen Stamm dann geradezu als Homosexueller gelten würden. Und das würde durchaus negativ sanktioniert werden...!

 

Und wie komme ich jetzt zum Wirken Magnus Hirschfelds im kaiserlichen Berlin von vor hundert Jahren und darauffolgenden republikanischen Jahren? Nun, von diesem berühmten Berliner Sexualforscher der ersten Stunde (1868-1935) stammt die für die damalige (wilhelminische) Zeit der überzogenen „Männlichkeit“ überaus provozierende aber gleichzeitig auch weitsichtige Aussage:

 

„Der Mensch ist nicht Mann oder Weib sondern Mann ùnd Weib“

 

Es ist dies ein (Glaubens-)Bekenntnis, das wunderbar anknüpft bei der bereits besprochenen „androgynischen Idee des Lebens“ und das auch deswegen zu meinem ganz persönlichen Credo geworden ist (siehe auch hierzu http://transmythos.wildsidewalk.com/ , HAMBURG). Denn diese Aussage ist wahrhaft  pures „Transgender-Denken “ und bestens geeignet das in unserem gesellschaftlichen Kontext so dominierende „männliche Prinzip“ der geschlechtlichen Eindeutigkeit in die Schranken zu weisen.

 

Magnus Hirschfeld wurde jedoch nicht nur hierdurch bekannt, sondern auch durch die Gründung 1919 des „Berliner Institutes für Sexualwissenschaft“, das 1933 im Rahmen der damaligen „Bücherverbrennung“-Aktionen von den Nazis geplündert und zweckentfremdet wurde. Seine dort angesammelten über 12'000 Schriften wurden öffentlich auf dem Scheiterhaufen in Brand gesteckt – damals munkelte man nichtzuletzt deswegen, da im Institut viele Nazis als Patienten geführt wurden...

 

Im Rahmen seiner vielschichtigen Sexualforschungsarbeiten waren besonders die von ihm herausgegebenen „Jahrbücher für sexuelle Zwischenstufen“ wegweisend. Bekannte Autoren darin waren – wie bereits erwähnt – u.a. „Professor L.S.M.A. von Römer“ (ein Pseudnym) mit seinem bekanntesten Beitrag „Über die androgynische Idee des Lebens“ in der Ausgabe 1903 II als auch Dr. F.Karsch-Haack 1901 mit seinem viel beachteten Aufsatz „Uranismus oder Päderastie und Tribadie bei den Naturvölkern“ (wobei – man höre und staune – Tribadie ein Euphemismus ist für Frauenliebe – Man(n interessierte sich also nicht nur für sich selbst damals!). Im Jahre 1911 erschien dann übrigens sein Hauptwerk „Das gleichgeschlechtliche Leben der Naturvölker“, das wegweisend werden sollte für die gesamte Naturvölker-Forschung in Europa im Rahmen des blühenden weltweiten Kolonialismus jener Tage.

 

Magnus Hirschfeld entwickelte um die damalig Jahrhundertwende  seine sogenannte Zwischenstufen-Theorie, in welcher er erstmals die „Umkleidungstäter“ (ein herrliches Wort) von den Homosexuellen (in Krafft-Ebings „Psychopathia Sexualis“ noch „Konträrsexuellen“ genannt) löste und für sie die Bezeichnung „Transvestiten“ vorschlug – dies geschah in seinem bekanntesten Werk „Die Transvestiten“ (Berlin 1910). In seiner ca 2'000 Seiten umfassende sexualwissenschaftliche Abhandlung „Geschlechtskunde“ sieht Hirschfeld dann erstmals den Wunsch nach Geschlechtsumwandlung (also den chirurgischen Geschlechtswandel) als eine Form des „Extremen Transvestitismus“. Die Bezeichnung „Transsexualismus“ wurde 1923 zum ersten Mal von ihm verwendet, allerdings gekuppelt am Transvestitismus-Begriff und ohne eine nähere Definition zu benennen: Es ging um die Frage ob der Transsexualismus die oberste Form des Transvestitismus darstelle oder der Transvestitismus die unterste Form des Transsexualismus...Letztere Form sollte dann nach dem Zweiten Weltkrieg vom amerikanischen Sexualforscher Harry Benjamin, einem Bekannten Hirschfelds, in seinem zu jener Zeit bahnbrechenden Werk „The transsexual phenomenon“ (New York 1966) zur bahnbrechenden „Erfindung“ der Transsexualität als eine neue Geschlechtlichkeit, weit weg von der Homosexualität – und damit weit vom sozusagen vor der Haustür liegenden indianischen Berdachentum -  hochstilisiert werden...Oder wie es der Berliner Sexualwissenschaftlicher Rainer Herrn  1995 in einem Aufsatz ausdrückte: „Vom Geschlechtsverwandlungswahn zur Geschlechtsumwandlung“.

 

Zurückgehend zu Hirschfeld möchte ich noch zitieren, was dieser zum sogenannten Transsexualismus seiner Couleur damals schrieb:

„Die stärksten Formen des totalen Transvstitismus finden wir bei denen, die nicht nur ihr künstliches, sondern auch ihr natürliches Kleid, ihre Körperoberfläche, andersgeschlechtlich umgestalten möchten (...). Den höchsten Grad dieser körper-transvestitischen Zwangszustände beobachten wir bei denen, die eine mehr oder weniger vollständige Umwandlung ihrer Genitalien anstreben, vor allem also ihre Geschlechtsteile nach ihrer Seele formen wollen. Voran steht bei transvestitischen Frauen die Beseitigung der Menstruation durch Entfernung der Eierstöcke, bei transvestitischen Männern die Kastration. Diese Fälle sind viel häufiger als man früher auch nur im entferntesten ahnte...“ Wohlgemerkt: dies wurde bereits vor 100 Jahren gesagt...!

 

Zu Anfang der 20er Jahre wurden die im Hirschfeldschne Sinne als „Extreme Transvestiten“ bezeichnete Personen – zunächst auf eigenem Wunsch und unter Belehrung der Folgen – ein- oder zweiseitig kastriert – geübt in derartigen Eingriffen waren die Chirurgen der Berliner Charité bereits durch Genitaloperationen an verletzte Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg. Der damalige Kapazität auf dem Gebiet der Genitalchirurgie Richard Mühsam berichtete 1926 über einen von Magnus Hirschfeld an ihn überwiesenen Patienten, an dem ein erster Versuch zur jetzt auch plastischen Operation durchgeführt wurde – dies nachdem der Transsexuelle (damals noch Transvestit genannt) zuerst 1920 kastriert und dann 1921 gar Eierstöcke eingepflanzt bekommen hatte. Auch dieser Auswuchs einer grenzenlosen „illusio virilis“-Hybris gab es also bereits damals...

 

Über die erste komplette Genitalumwandlung im Sinne des Transsexualismus-Credo unserer Tage berichtete Felix Abraham 1931 dann in seinem Aufsatz „ Genitalumwandlung an zwei männlichen Transvestiten“. Doch die wohl spektakulärste „Geschlechtsumwandlung“ fand im gleichen Jahr in Dresden statt, wo die Dänin Lili Elbe – vormals der dänische Dichter Einar Wegener – mit ihrer Biographie „Ein Mensch wechselt sein Geschlecht: eine Lebensbeichte“ viel Aufsehen erregte in den Medien – ein Jahr später war sie allerdings tot...!

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte 1952 in Kopenhagen dann die weltweit für Aufregung sorgende „Geschlechtsumwandlung“ der (wiederum) Dänin Christine Jörgensen (ehemals der GI George Jörgensen) - die Schlagzeilen beispielsweise der „New York Daily News“ lauteten „EX-GI BECOMES BLONDIE“ und „Operation Transform Bronx Youth“. Wobei Christine Jörgensen (1992 verstorben) sich übrigens äusserst geschäftstüchtig zeigte in der Vermarktung ihres in den Augen der Öffentlichkeit doch sensationellen Schrittes – sie war sozusagen fortwährend „on tour“ mit sich selbst und ihrer Geschichte. Schliesslich geriet 1974 noch die Engländerin Jan Morris mit ihrem Erlebnis-Buch „Conundrum“ in den Blickpunkt der Öffentlichkeit – darin berichtete die heute als Historikerin lebende Jan Morris (die einst als Mann den Mount Everest bestiegen hatte...) in ziemlich idealisierter Form über ihre Erlebnisse in der Casablanca-Klinik des Transsexer-Chirurgen Charles Burou, der Erfinder des „Stülp“- bzw. „Handschuh“-Prinzips bei der chirurgischen Anpassung von Mann-zu-Frau-Transsexuellen. Merke: die Verwendung des (heutigen) Begriffes (Geschlechts-)Anpassung statt (Geschlechts-)Umwandlung kommt der Realität der Dinge schon viel näher..Wer übrigens heute bei der Suchmaschine google.de den Begriff „Dr. Charles Burou“ eingibt bekommt etwa 5'100 Resultate, darunter ganz ausführliche hochinteressante Websites über die historische Entstehungsgeschichte der Transsexualität  ähnlich wie ich diese Euch hier in Kurzform zu vermitteln suche...

 

Ja, und anschliessend setzte in den USA der heute als sagenhaft erscheinende „Umwandlungs-Boom“ ein: Im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ („american dream“) stieg man (Mann!) gross ein und Namen wie Harry Bejamin, John Money, Robert Stoller, G.W. und C. Socarides, John Hopkins Hospital in Baltimore, Mount-Sun-Rafael-Hospital in Trinidad (Colorado) mit dem Transsexer-Chirurgen Stanley Biber usw. wurden zu Synomymen einer dort einsetzenden, sprunghaften Ausuferung der transsexuellen Idee - und deren (nahtlose) Transformation in die chirurgische Wirklichkeit: „Anything goes“ war die wahrhaft schrankenlose Devise, wenn es um die (angebliche) „Auswechselbarkeit der Geschlechter“ ging.

 

Schliesslich kam das auf Harry Benjamin basierende USA-Transsexualismus-Phänomen – sozusagen über den amerikanischen „Umweg“ – dann in den auslaufenden Wirtschaftswunder-Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zurück nach Deutschland bzw. Europa – es folgten die ersten transsexuellen Gesetzgebungen, u.a. in Schweden (1972), in der DDR (1974), in der BRD (1981 mit „kleiner Lösung“ (Vornamensänderung im Rahmen des sozialen Geschlechtswandels) und „grosser Lösung“ (Personenstandsänderung im Rahmen der chirurgischen Anpassung)), Italien (!982), Holland (1984), Luxemburg (1989) usw.. Aber auch die Gründungen der verschiedensten Transsexuellen-Selbsthilfe-Organisationen waren die Folge – und damit auch der Umstand, dass dieselben meistens nicht die Lösung des (Beratungs-)Problem waren sonder das Problem selber ( falscher „Guru“-Aktionismus). Das ganze Hin und Her hat  inzwischen zu einem erheblichen Imageverlust in der Öffentlichkeit geführt (nichtzuletzt wegen der durchwegs schrecklichen „Talkshow“-Figuren aus der „TS-Büchse der Pandora“...) und sich – wie zu Anfang aufgezeigt – allmählich auch in die (Schein-)Welt des Internets verlagert. Die in Thailand demnächst geplante Direktübertragung von „sex-change“-Operationen durch das Fernsehen dürfte in einem solchen Sinne gleichfalls zu einer weiteren Kommerzialisierung bzw. Stigmatisierung des Geschlechtswandel-Phänomens führen -  nichtzuletzt durch die bereits jetzt angebotenen (preiswerten) „all in“-Umwandlungs-Pakete....

 

Was soll ich Euch noch sonst erzählen über die Euch allen wahrscheinlich bestens bekannte Gegenwart? Vielleicht im nachdenklichen Sinne hervorheben, was im Beitrag „Ein Traum von Mädchen“ in der Hamburger Zeitung „Die Zeit“ vom 27.05.2004 mit den ersten beiden Sätzen bereits vielsagend geunkt wird: „Mit Hilfe von Hormonen darf ein 13-järiger sein Geschlecht wechseln. Die Behandlung ist umstritten – und unumkehrbar“? Soll man/frau so einfach zur Kenntnis nehmen, dass jetzt auch an der Hamburger Universitätsklinik die „Quadratur des (Geschlechtswandel-)Kreises“ versucht wird, genauso wie solche hormonalen „Menschenversuche“ nun schon seit vielen Jahren vom Genderteam der Freien Universität von Amsterdam (Transsexerin Cohen-Kettenis als treibende Kraft) an niederländische Androgyn-Kindern im frühen Schulalter vorgenommen werden? Oder soll ich von der grossen Blamage des USA-Sexualforschers John Money erzählen, dessen damals für unerschüttlich gehaltenes Credo der „problemlosen“ Auswechselbarkeit des Geschlechter im Sinne des „nurture“-Ansatzes durch den Freitod seines Paradepferdchens David Reimer Ende 2003 gnadenlos entlarvt worden ist? Ein „Teiresias“-Schicksal, diesmal nicht von den alten Griechen-Göttern inszeniert sondern durch Zutun moderner „Götter in Weiss“ regelrecht „verschuldet“ als bedauernswerte ( Spät-)Folge einer unsagbaren „illusio virilis“-Hybris der (amerikanischen) Nachkriegsjahre? Oder soll ich Euch erzählen von der grossen amerikanischen Star-Fotografin Annie Leibovitz, die Ihre Karriere begann bei den Society-Blättern „Rolling Stone“, „Vanity Fair“ und „Vogue“, das Geschlecht wechselte und ihr letztes wunderbares Fotobuch „Annie Leibovitz: Women“ kurz nach dem Jahrtausendwechsel auf einem Empfang in Weissen Haus persönlich an „womanizer“ Bill Clinton abliefern durfte?

 

Aber wie gesagt, aus den USA kommen glücklicherweise im Rahmen des Transgender-Denkens nun endlich immer kritischere Töne herüber - sozusagen weg von der Chirurgie und wieder hin zur Tradition der „androgynischen Idee des Lebens“. Oder anders gesagt „Couch statt Skalpell“, wobei nichtzuletzt 2003 erhebliche Unruhe in den USA entstanden ist durch das Buch „The Man Who Would Be Queen –The Science of Gender-Bending und Transsexualism“ vom Autor Michael Bailey (Joseph Henry Press, Washington D.C. 2003) – die niederländische Zeitung „De Telegraaf“ titelte hierzu „De hype van vandaag is het schandaal van morgen“ (der Hype von heute ist der Skandal von morgen)....

 

Denn wie zu Anfang bereits gesagt: „Das Wandeln zwischen den Geschlechtern ist so alt wie die Menschheit...!“- „und das ist gut so“ (frei nach Wowereit). Allerdings wird die in Tausenden von Jahren entstandene männlich-patriarchalische Eindeutigkeits-Hybris nur schwer zu knacken sein, nichtzuletzt auch da im gesellschaftlichen Sinne allmählich ein (patriarchalisch-religiös initiierter) „Rechtsruck“, vor allem in den USA,  sich durchzusetzen beginnt - da kommt noch einiges auf uns zu ...! Tröstlich in diesem Zusammenhang dürfte da allerdings  wieder sein, dass der bekannte amerikanische Sex-Aufklärer und Sexualforscher Alfred Kinsey (1894-1956)  im damaligen FBI-Chef Edgar J. Hoover direkt nach dem Zweiten Weltkrieg einen erbitterten Gegner besass, der ihn gnadenlos verfolgen liess und dicke Akten über ihn anlegte. Aber der gleiche Edgar J. Hoover – der im Büro den harten fundamentalistischen „Kerl“ gab – tanzte nachts in Frauenkleidern durch die Schwulenbars, sozusagen als „Rumpelstilzchen“-Berdache und als bester Beweis für den auch heute noch intakten sprichwörtlichen amerikanischen Doppelmoral..!

 

Ich danke für Eure Aufmerksamkeit.

 

Johanna Kamermans, Maastricht

http://transmythos.wildsidewalk.com/  

 

Vortrag und Gespräch

Mit Johanna Kamermans

Am Freitag den 17.06.2005

im Bürgerhaus Stollwerck

Dreikönigenstrasse 23

D-50678 Köln

Auf Einladung der

TXKöln-SHG.

 

 „D e r  M e n s c h

 i s t  n i c h t

 M a n n  o d e r  W e i b

 s o n d er n

 M a n n  ù n d  W e i b“                                                                        

 

Magnus Hirschfeld (1868 – 1935)   Maastricht 14.03.2005