Als ich diese Worte zum erstenmal hörte,
wirkten sie so auf mich, als hätte mein Mann gerade die Diagnose
irgendeiner unheilbaren Krankheit bekommen. Ich wusste, dass nach diesem
ersten Satz unsere Ehe nie wieder dieselbe sein würde. Dann kamen mir
andere Worte in den Sinn: homosexuell, schwule Tunte, Transvestit,
pervers und all die anderen Ausdrücke, die ich aus Filmen oder
Illustrierten kannte. Ich dachte an die Kinder, Familie, Freunde und
Nachbarn! Könnten wir ihnen noch ins Gesicht sehen? Dann wurde ich ärgerlich.
Es war, als hätte er mich betrogen. Die ganzen Jahre war ich mit jemand
verheiratet, der eine Lüge lebte. Er hatte dieses schreckliche
Geheimnis über 26 Jahre verborgen gehalten, und nun, nachdem die Kinder
aus dem Haus waren und ich mich schon auf das nächste halbe Jahrhundert
gemeinsamen Altwerdens freute, beschloss er, mir dieses grässliche
kleine Geheimnis zu erzählen und damit alles gemeinsam Erlebte
wegzuwerfen. Das waren meine Gedanken am ersten Tag. Mein Mann hatte mir
nur erzählt, dass er gerne Frauenkleider trägt.
Ich suchte nach einem Grund, einem
Hinweis, der mich hätte vorwarnen können. Wir sind in der
Nachbarschaft als Kinder gemeinsam aufgewachsen. Er war die Sorte Anführer,
der die anderen Jungs in Schwierigkeiten brachte. Er fuhr Motorrad und
ging eine Menge Risiken ein. Er kämpfte. Meine Mutter weinte sogar, als
sie herausfand, dass wir miteinander gingen und heiraten wollten, weil
er der schlimmste Rabauke der ganzen Nachbarschaft war. Er gab die
Schule auf und ging zur Marine. Er flog Hubschrauber, stürzte ab, überlebte
und ich heiratete ihn, als er sich zum zweiten Mal dienstverpflichtete.
Nach dem Militärdienst arbeitete er in einer Gießerei, später in
einer Chemiefabrik, und wie bauten unser gemeinsames Leben auf. Er fuhr
noch immer Motorrad. Unser erstes Kind wurde mit einem Herzfehler
geboren und wir verloren es. Während ich im Krankenhaus lag, musste er
alle Entscheidungen allein treffen. Nachdem er sich als Dachdecker
verletzt hatte und diesen Beruf nicht weitermachen konnte, wurde er
Handelsmann, In der Zeit wurde unser erster Sohn geboren. Mein Mann ging
wieder zur Schule, arbeitete nachts und machte seine Prüfung. Er baute
sich in Silicon Valley eine neue Karriere auf, wir kauften unser zweites
Haus, unser mittlerer Sohn und die jüngste Tochter wurden geboren. Wir
liebten uns, bauten unser Leben auf, und alle Träume erfüllten sich
wie ich gehofft hatte.
Und plötzlich, innerhalb von Minuten, waren all die Bilder zerstört,
die ich mir von ihm gemacht hatte. Alle seine Erfolge wurden von dem überschattet,
was ich für den größten Misserfolg hielt. Mein Mann, mein Fels, die
Person, an die ich mich anlehnte, wünschte sich, meine Kleider zu
tragen!
Ich weinte. Ich war erschreckt,
frustriert, durcheinander. Es war schlimmer, als wenn er mir gesagt hätte,
er würde mich wegen einer anderen Frau verlassen. So sah ich es
jedenfalls. Ich verlor meinen Mann wegen einer Frau. Das Schlimmste war,
dass er selbst diese Frau war. Ich verlor meinen Mann an jemand anderes.
Immer wieder dachte ich, wie unwahrscheinlich es bei seiner Männlichkeit
war, daß er sich wünschte, eine Frau zu sein. Er war nicht feminin. Er
hatte keinerlei weibliche Züge oder Verhaltensweisen an sich. Er war
maskulin. Er hatte einen männlichen Körper. Die Jahre in der Gießerei,
in der Chemiefabrik und als Dachdecker hatten ihn hart gemacht. Von
meiner Vorstellung einer Frau war er weiter entfernt als ich es sagen
konnte. Das machte alles keinen Sinn. Aber wir sprachen miteinander.
Zuerst fühlte ich mich von Forderungen bedrängt. Wie konnte er mir das
nur antun? Ich wünschte mir eine Erklärung. Ich forderte eine Erklärung.
Als er mir dann alles erzählte, schlich sich Mitleid ein. Ich habe ihn
weinen sehen, als wir unser erstes Kind verloren und als sein Vater
starb. Ich habe ihn frustriert gesehen, als er nachts arbeitete und tagsüber
zur Schule ging und der Abschluss noch lange nicht in Sicht war. Ich
habe seine sanftere Seite gesehen, wenn die Kinder oder ich ihn während
einer Krise brauchten. Aber ich habe nie bei ihm so tiefe Emotion
gesehen, also hörte ich zu. Mein Ärger mischte sich mit Mitleid, wurde
zu widerwilligem Respekt mit etwas Ärger gemischt. Aber ich schwor mir,
ihn zu verstehen, weil er mir hier etwas mitteilte, was er in sich
vergraben hatte, so tief es nur ging. Und er gestand mir etwas, das ihn
innerlich zerriss. Ich begann zu verstehen, dass er nun das letzte Stück
mit mir teilte, weil er wollte, dass ich alles über ihn wusste. Danach
dachte ich, dass nur Gott mehr über ihn wusste als ich. Es gab in
unserer Ehe, wie in allen Ehen, eine Menge Kleinigkeiten, die wir uns
mit wachsendem Vertrauen gegenseitig gebeichtet hatten. Es hatte ihm
wehgetan, dies so lange vor mir geheimzuhalten, und es tat ihm auch weh,
es mir zu erzählen. Doch ich nehme an, seine Liebe zu mir zwang ihn
schließlich, mir alles zu sagen. Er brachte mir das tiefste Vertrauen
entgegen. Zwar wollte ich es nicht hören, doch mit den Alternativen
wollte ich mich auch nicht befassen; also hörte ich doch zu.
Ich bezähmte meinen Ärger, mein
widerwilliger Respekt wurde zu Neugier. Und dann schwor ich zu helfen,
ihn davon zu heilen. Er hat »das« sein Leben lang gehabt. Das »Warum«
war unklar. Selbst heute kann keiner von uns sagen, was der Grund oder
Auslöser gewesen ist. Wir kauften Bücher, die uns halfen, es besser zu
verstehen und auch meine Ängste zu vermindern. Aber ich war überzeugt,
er würde darüber hinwegkommen. Irgendwo musste es einen Arzt geben,
der ihn - und auch mich - davon befreien konnte. Es gab so viele
Theorien, die passten oder zu passen schienen, so erklärte mein Mann
sich bereit, zu einer Ärztin zu gehen, die in der sogenannten
Transgender-Gemeinschaft arbeitete. Und er versprach mir, sich noch ein bisschen
länger zu verstecken, bis wir uns da durchgekämpft hätten. Auf ihren
Wunsch hin ging auch ich wenig später zu dieser Beraterin, aber ich
hatte auch die Hoffnung, sie könnte mir etwas zum Verständnis dieser
Sache anbieten.
Dort lernte ich Neues und ich
erfuhr, dass er nicht krank sei, sondern mehr eine innere Eigenschaft
ausdrücke, so dass er nicht davon geheilt werden könne. Er war einfach
ein Transvestit. Sie nannte mir diesen Ausdruck, und ich dachte mir auf
der Heimfahrt »Nichts weiter als ein Transvestit«. So ein simpler
Ausdruck und so schwierige Umstände. In erster Linie war es nicht mehr
als eine Gelegenheit, seine weibliche Seite in der einzigen Weise
auszudrücken, die er kannte. Hätte er sich in der Öffentlichkeit
feminin gekleidet, hätte es gleich geheißen: Homosexueller! Und in der
Nachbarschaft und bei Bekannten hätte es geheißen: Schwule Tunte,
schwule Sau! Wenn er irgend etwas tragen würde, was auf Weiblichkeit
hinweisen könnte, würde er als pervers oder zumindest geistesgestört
eingeschätzt werden. Mit solchen Bildern sind wir beide aufgewachsen.
Er kannte sie, weil er sie gelebt hat, und auch ich war davon beeinflusst,
wie ich an dem Tag bemerkte, als er mir sein Geständnis machte.
Gewissermaßen war meine Einstellung einer der Gründe, dass er sich vor
mir versteckte.
Seine Welt und auch meine Welt
erforderten, dass er seine Gefühle vor uns beiden versteckte. Er musste
es tun. Unsere Lebenssituation erlaubte nicht das kleinste verräterische
Zeichen. Nie gab es eine Gelegenheit, das Thema anzusprechen. In unserer
Erziehung gab es keinen Hinweis darauf, dass dies überhaupt ein Thema
sein könnte. Schule, Eltern, Freunde, Kirche, nirgends war auch nur
eine Andeutung gemacht worden, obwohl ich feststelle, dass es in uns
allen so etwas gibt. Nur ist der Widerstand dagegen bei Männern so groß,
dass sie es fast nie ausdrücken, oder, wenn sie es tatsächlich tun,
werden sie als schmutzig und pervers verdammt.
In meiner Neugier versuchte ich mehr darüber zu erfahren. Ich lernte, dass
es diese Eigenschaft schon lange vor Christi Geburt gegeben hat. Ich
stellte fest, dass unsere moderne Gesellschaft geradezu absichtlich vergisst
oder verdrängt, was frühere Gesellschaften leicht verstanden und
teilweise sogar verehrt haben. Indianerstämme bildeten ihre Version von
Transvestiten zu weisen Männern aus, weil sie wussten, dass diese
Personen beide Seiten kennen und verstehen, was die Geschlechter
einander geben können im Leben. Doch unsere »moderne Gesellschaft«
brandmarkt sie mit den niedrigsten Namen, äußerst abwertenden
Bemerkungen und schmutzigsten Erklärungen. Unsere Gesellschaft scheint
sich selbst dem Fernsehmodell nachzubilden. Unsere Generation ist mit
dem Fernseher aufgewachsen. Jeden Tag paradieren die Vorführfamilien
vor unseren Augen. Unsere Vorbilder sind perfekte Menschen. Alles was
nicht perfekt ist, muss pervertiert sein. Doch als wir uns so darüber
unterhielten, konnten wir niemanden in unserem Freundeskreis, unter
Arbeitskollegen oder in unserer Familie finden, der in dieses perfekte
Schema gepasst hätte oder ihm auch nur nahe gekommen wäre.
Und so entschied ich mich, dass ich
ihn einfach verstehen musste, weil er mein Partner ist und ich unsere
Gemeinschaft am Leben erhalten wollte, auch wenn es mir anfangs schlimm
erschien. Ich brauchte ihn und hatte keinen Zweifel, dass er auch mich
brauchte. Also schaute ich ihn mir an und verglich diese neue Person mit
der alten. Zuerst war es sehr schwer für mich, aber schließlich haben
wir eine lange Ehe und Lebensgemeinschaft hinter uns, was mich daran
glauben ließ, dass wir selbst damit gemeinsam klarkommen und daran
wachsen könnten. Ich dachte an meine Gründe, ihn zu heiraten. Er war
ein Abenteurer, ein Spaßmacher, manchmal ein Kind, immer ein Optimist.
Er war ehrgeizig, arbeitete schwer und war mein zuverlässiger Fels. Als
Vater, Ehemann oder als Mensch hat er uns nie enttäuscht. Er war der
erste, der in einer Notsituation zupackte und der erste, der weinte,
wenn alles vorbei war. Andere Frauen bekamen von ihren Männern
Staubsauger und Küchenmaschinen zu Weihnachten - meiner schenkte mir
Schmuck, Kleider und Dessous. Er war romantisch und hatte ein feines Gefühl
für meine Bedürfnisse. Ich entdeckte, dass ich seine feminine Seite in
unserem täglichen Eheleben schon so oft gesehen und mir nie etwas dabei
gedacht hatte. Nun erklärte er es mir in Worten, die ich verstehen
konnte.
Er hatte einfach manchmal das Bedürfnis, sich sanft, feminin und
sinnlich zu fühlen. Er wünschte sich Momente, in denen er einmal nicht
aggressiv, erfolgreich und immer der Beste sein musste. Sein ganzes
Leben lang musste er kämpfen und siegen. Alles war, wie es sein sollte,
und doch war es so unwirklich wie die Fernsehfamilien. Er wünschte
sich, manchmal hübsch zu sein und weniger rau. Aber es gab für ihn
kein Umfeld, in dem er es hätte ausleben können. Er wünschte sich das
Gefühl eines seidenen Nachthemds und zarter Spitzen auf der Haut
genauso wie ich und aus denselben Gründen. Er wünschte sich genau wie
ich, ein Baby im Arm zu halten und seine Lebendigkeit zu spüren, einen
Blumenstrauß zu pflücken und den Duft und die Farben zu genießen,
doch er gestattete sich nie den Übergang. Es gab keinen Weg für ihn.
Mir fehlte für diese Seite bisher das Verständnis, denn als Frau hatte
ich jederzeit die Möglichkeit, die Geschlechtergrenzen in Aussehen,
Kleidung und Aktivitäten zu überschreiten, ohne groß darüber
nachzudenken. Wo ich kaum eine Entscheidung nötig hatte, war für ihn
jeder Moment der Feminität eine sorgfältig geplante Geheimaktion. Wie
oft habe ich mir einfach so aus seinem Schrank ein Paar von seinen Jeans
geschnappt, um sie anzuziehen, oder aus seinen Schubladen ein T-Shirt,
um im Winter darin zu schlafen. Er dagegen durfte so etwas nie tun und musste
seine Wünsche danach immer unterdrücken. Im öffentlichen wie im
privaten Leben musste er sie verstecken. Nur Momente und kurze
Gelegenheiten blieben ihm, um sich die einfachsten Ausdrucksmöglichkeiten
zu erschleichen. Es war ihm nie erlaubt, auf meine Seite herüber zu
kommen, weil irgendwie irgendwann irgendwo irgend jemand gesagt hat:
Nein, das ist nicht erlaubt! Gemeinsam lasen wir die Bücher darüber,
aber wir fanden nirgends einen Grund, warum er »das« nicht tun dürfe.
Wir verbrachten einen Nachmittag in der Bücherei. Zum Scherz fragten
wir die Dame am Schalter, ob sie uns helfen könne, die Definition von männlich
und weiblich zu finden. Nicht die biologische natürlich, sondern die,
die besagt: du bist männlich oder weiblich, und hier ist die Liste der
anerkannten und genehmigten Definitionen und Strukturen, die für die
jeweilige Rolle vorgegeben sind. Ist es nicht seltsam, dass über etwas
angeblich so »Natürliches« so wenig bekannt ist und so wenig gesagt
oder geschrieben wird? Ich bemitleidete meinen Mann und die anderen, von
denen ich erfuhr.
Ich fand es unglaublich traurig, dass ihnen so viel vorenthalten wird.
Wie tragisch, dass wir als Gesellschaft mit so viel Nachdruck auf den
engen Regeln bestehen, nach denen Männer sich verhalten, kleiden und
bewegen. Selbst der einfachste und natürlichste Ausdruck von Gefühlen
wird von diesen Regeln eingeschränkt. Einmal schauten wir uns mit den
Kindern auf Video den Film »Schneewittchen« an. Unser zweiter Sohn war
etwa sechs Jahre alt, und er kämpfte mit den Tränen, worauf ich meinen
Mann aufmerksam machte. Unser Sohn bemerkte das und schaute meinen Mann
an. Mein Mann schaute ihn an, machte ein trauriges Gesicht und sagte: »So
ein trauriger Film!« Jetzt erst fing der Junge an zu weinen und sagte
»ja«.
Erst heute denke ich darüber nach, wie Jungen und Männer erzogen
werden. Unser Sohn musste weinen, und er hatte jedes Recht dazu. Und
doch musste er erst sehen, ob es auch erlaubt war. Schon mit sechs
Jahren musste er lernen, mit solchen Einschränkungen zu leben. Ein
anderes Mal verglichen mein Mann und ich unsere beiden Seiten des
Kleiderschranks und wieder war diese Einschränkung deutlich zu sehen.
Auf meiner Seite waren fast alle Farben vertreten, auf seiner mischten
sich braun, schwarz und grau zu düsterer Eintönigkeit. Er trug nicht
einmal farbige Hemden zum Anzug, zumindest nicht bis vor ein paar
Jahren, als sie mehr in Mode kamen. Selbst seine Schuhe waren nur
schwarz oder braun. Vor dieser Unterhaltung hatte ich darauf nie
geachtet. Ungestraft und ohne je in Frage gestellt zu werden können wir
Frauen zwischen femininem und maskulinem Ausdruck hin und her wechseln.
Und ich war eine von denen, die das Spiel ungewollt mitspielten. Ich
machte mir ein Bild von meinem Mann, das so stereotyp männlich war, dass
keinerlei Raum mehr blieb für den Ausdruck seiner weiblichen Seite. Wir
beide waren konditioniert nach Regeln, die zwar nirgends geschrieben
stehen, aber so hart durchgesetzt werden wie Gesetze. Er lebte nach
ihnen und ich habe ihn unbewusst - doch zu meinem eigenen Vorteil - dazu
ermutigt.
Ich begann, sein zweites Ich kennenzulernen. Am Anfang war es schwer.
Sehr schwer. Er war keine Frau, sondern eher ein Mann mit femininen Zügen.
Mit Zügen, die ich nie an ihm vermutet hätte, die aber schon immer
dagewesen waren, wie ich erst jetzt langsam erkannte. Und der einzige
Weg, ihnen Ausdruck zu geben, war diese extreme Form des Verkleidens als
Frau. Er war ja genauso streng konditioniert wie ich. Aber ich sah ein, dass
aus seinem Verhalten weder auf ein Scheitern unserer Ehe noch auf mein
Versagen zu schließen war. Das war mir sehr wichtig, weil ich am Anfang
gedacht hatte, daß ich irgendwelche Fehler gemacht hätte, dass ich
vielleicht nicht weiblich genug für ihn war. Aber daran lag es nicht.
Er hatte mir sogar einmal gestanden, dass er mich meiner Weiblichkeit
wegen bewunderte. Er bewunderte mich, weil ich eine Frau war und die
Geschlechtergrenzen mühelos überqueren konnte. Er liebte mich wegen
meiner Weiblichkeit. Wir fingen an, dieses Thema zusammen auszuforschen
und in gewisser Weise wurde ich seine Lehrerin. Er wollte in meine Welt
kommen und weil ich mir überlegen musste, wie ich es ihm beibringe,
begann ich meine eigene Weiblichkeit mehr zu schätzen und anzuerkennen,
was sie für ihn und für mich bedeutete. Er liebte mich, wie ein Mann
eine Frau nur lieben konnte. Ich war sein Bild von Weiblichkeit.
Mit der Zeit lernte er, seine Liebe zu mir in eher weiblicher Weise
auszudrücken und ich fühlte mich dabei ebenfalls weiblicher. Wir
hatten beide noch viel übereinander zu lernen, und die unbequemen
Fragen, die wir uns gegenseitig stellten, waren ein Anlass, Gedanken und
Überzeugungen zu betrachten, mit denen wir uns nie vorher befasst
hatten. Eigentlich kannten wir den Unterschied zwischen femininen und
maskulinen Eigenschaften überhaupt nicht. Ich dachte immer, es sei das
Gleiche wie der Unterschied zwischen Mann und Frau. Aber in Wirklichkeit
hat Mann oder Frau sein nichts damit zu tun, wie feminin oder maskulin
jemand ist.
Einige unserer Freunde und Freundinnen haben diese gemischten
Eigenschaften und zwar zum Teil im Gegensatz zu ihrem Geschlecht. Eine
Arbeitskollegin meines Mannes, die sehr feminin wirkt, ging während
eines Besuches auf unserer Ranch mit Pfeil und Bogen auf die Jagd. Sie
angelt auch gern und bastelt sich ihre Köderfliegen selbst. Obwohl ich
die Wahl ihrer Hobbys nicht verstehe, habe ich sie gern. Ein anderer
Freund ist Friseur. Er ist ein guter Kumpel, aber sehr »feminin« in
seiner Erscheinung. Ich hatte ihn immer im Verdacht, schwul zu sein,
aber selbst wenn er es sein sollte, würde das nichts an unserer
Freundschaft ändern. Und sein Partner, falls wir ihn kennenlernen würden,
wäre uns genauso in der Familie willkommen wie er. Während ich über
das nachdachte, was mir mein Mann erzählt hatte, fielen mir diese
Freunde ein, die ich immer als Einzelfälle betrachtet hatte. Ich hatte
das vorher nie so wahrgenommen, aber eine wirklich klare Unterscheidung
zwischen männlich und weiblich gibt es eigentlich nicht. Eher hängt
die Unterscheidung vom Ausdruck des Einzelnen ab und wie dieser Ausdruck
in unserem Lebensumfeld gedeutet wird.
Ich entdeckte, dass ich meinen Mann eigentlich wegen seiner weicheren
Seiten, die ihn zum Transvestiten machen, geheiratet habe. Er war männlich
und doch sensibel. Mit dieser Entdeckung wurde mir klar, dass ich einen
Mann geheiratet hatte, der außer seiner Männlichkeit eben auch diese
femininen Eigenschaften besaß, die ich unbewusst begehrenswert gefunden
hatte. Damals hatte ich noch keinen Namen dafür, und doch habe ich
gerade wegen dieser Qualitäten seinen Heiratsantrag angenommen.
Manchmal frage ich mich, wie wohl unser Zusammenleben verlaufen wäre,
wenn ich von Anfang an alles gewusst hätte. Wie viel weiter wären wir
heute? Andererseits denke ich, dass es früher nicht funktioniert hätte.
Ebenso wie er brauchte ich meine Zeit, um erwachsen zu werden. Das
Vertrauen zu mir und meine Toleranz mussten erst wachsen, bevor er das
Risiko eingehen konnte sich mitzuteilen. Und er kannte die möglichen
Risiken lange vor mir.
Mein Mann ist ein Transvestit, und es gibt immer noch Momente, in denen
ich mich unwohl damit fühle. Andererseits ist er immer noch derselbe
Mensch wie vorher. Der einzige Unterschied ist, dass ich jetzt mehr über
ihn weiß. Ich kann mir meinen Mann noch immer nicht in Frauenkleidern
vorstellen. Teilweise liegt das an meinen eigenen Vorurteilen, teilweise
auch daran, dass er selbst nicht so recht damit klarkommt und sich so
unbeholfen anstellt. Meine Erziehung hinderte mich daran, ihn voll zu
akzeptieren, und ihm ging es auch nicht besser damit. Andererseits ist
er von Natur aus nicht sehr feminin und weiß kaum etwas über meine
Seite, das fordert mich ein wenig heraus. Wie gibt man jemandem mit
einem Körperbau wie ein Kleiderschrank und einem äußerst männlichen
Gesicht ein einigermaßen weibliches Aussehen? Wir experimentieren ein bisschen,
und ab und zu gebe ich ihm einen Tipp. »Du hast keine Taille, also musst
du eine vortäuschen.« Und ich tröste ihn darüber, dass er keine
Taille hat.
Im gemeinsamen Lernen und Lehren lernen wir uns gegenseitig wieder
genauer kennen, und wir finden Kompromisse, mit denen wir beide leben können.
Als ich mich damit abgefunden hatte, stellte ich fest, dass es auch gute
Seiten gab. Mit seiner neuen Freiheit sich auszudrücken wurde auch
unser Liebesleben schöner. Wir erzählten uns gegenseitig unsere
Phantasien und halfen einander, sie auszuleben. Im Sex neigt er dazu,
genau das zu sagen und zu tun, was ich gern höre und fühle, und
hinterher kuscheln wir noch eine Weile. Er gibt mir die Weiblichkeit,
die ich brauche, weil er mehr darüber gelernt hat. Er ist nicht mehr so
aggressiv mit den Kindern, weil er inzwischen gelernt hat, aus der
Frauenperspektive mit ihnen umzugehen. Aus meiner Perspektive, weil er
es von mir gelernt hat. Er hat mehr Gefühl für meine Wünsche und
Stimmungen, weil er seine eigenen besser versteht. auch darin bin ich
sein Vorbild. Ich lerne, vernünftig mit seiner weiblichen Seite
umzugehen und stelle fest, dass es auch zu meinem Vorteil ist.
Meine Kolleginnen machen neidische Bemerkungen, wenn er mir Blumen
schickt oder ich mit einem neuen Kleid oder Schmuckstück von ihm zur
Arbeit komme. Nach einem Rundgespräch über ehelichen Sex meinte
jemand, mein Mann sollte Kurse abhalten: »Wie werde ich der perfekte
Ehemann?« Ich musste lachen, als ich mir vorstellte, welchen Verlauf
diese Kurse nehmen würden. Ich bemerkte, wie viel Humor in dieser Sache
steckte. Wir konnten lachen. Als die Badeanzüge -Frühjahrskollektion
im Fernsehen vorgestellt wurde, machte ich mit meinen Händen einen
Rahmen, betrachtete ihn dadurch und wir sagten beide gleichzeitig »Nein«,
und wir lachten. Die Kollegin hatte schon recht, die meisten Ehemänner
machen sich nie die Mühe, einmal in die Schuhe ihrer Ehefrauen zu
steigen, im übertragenen Sinne oder tatsächlich, deshalb können sie
ihre Frauen nie in dem Maße verstehen wie es mein Mann kann. Ich habe
kaum Männer kennengelernt, die auch nur zu einem Versuch bereit waren.
Und noch ein weiterer Pluspunkt: durch meine Akzeptanz und
Lernbereitschaft verpflichte ich ihn, mich genauso zu akzeptieren und
mehr über mich zu lernen. Und er beschwert sich auch nicht mehr, dass
ich so lange brauche zum Schminken und Anziehen - er braucht ja noch
viel länger.
Manchmal denke ich, dass es unglaublich tapfer von meinem Mann war, dass
er etwas seiner Erziehung so stark Widersprechendes so lange mit sich
herumgetragen hat. Ich weiß nicht, ob ich es genauso gekonnt hätte. Je
mehr von seiner femininen Seite herauskommt, desto sicherer fühlt er
sich auch in seiner Männlichkeit. Er hat mehr gemeistert, als die
meisten Männer auch nur wahrhaben wollen. Welcher Mann wagt es schon,
seiner eigenen Weiblichkeit ins Gesicht zu sehen? Er jedenfalls fühlt
sich heute sicherer auch als Mann und ist doch viel mehr in der Lage,
mich als Frau anzuerkennen. So ist er in meinen Augen heute wieder mein
vertrauenswürdiger Fels, an den ich mich anlehnen kann, wenn ich es
brauche.
Unsere Ehe beruht heute mehr auf seiner Eigenart, weil ich seine
Vertrauensperson bin. Ich bin seine einzige Partnerin in dieser Sache, rückblickend
war das der Hauptgrund, dass er es mir erzählt hat. Heute ist es Teil
unserer Ehe. Vor zwei Jahren, als mein Mann zu mir kam und mir
beichtete, dass er liebend gern Frauenkleider trägt, ahnte ich noch
nicht, dass ich dadurch einen besseren, liebevolleren Mann bekommen würde.
Einmal fragte er mich, ob ich auf den Knopf drücken würde, der all das
für mich abschaltet (vorausgesetzt, es gäbe einen solchen Knopf). Zum
Zeitpunkt seines Geständnisses hätte ich sicher ja gesagt. Heute, wo
ich all die Vorteile kennengelernt habe, bin ich nicht mehr so sicher.
Ich würde erst gründlich darüber nachdenken. Als Partnerinnen stecken
wir da in einem Dilemma: Kann man eine Eigenschaft austreiben ohne einen
Einfluss auf die anderen Eigenschaften? Einiges an ihm, das ich
besonders liebe, ist gerade dasselbe, was ich manchmal gern ändern möchte.
Wie überall in Gemeinschaften müssen
Kompromisse gefunden werden. Zuerst konnte ich ihn im Kleid nicht
akzeptieren. Also arbeiteten wir einen Plan aus, nach dem er seine Zeit
fürs Zurechtmachen hatte, während der ich von der Bildfläche
verschwinden konnte. So war alles wie vorher, es war nicht sichtbar. In
der Zwischenzeit versuchte ich mich an den Gedanken zu gewöhnen. Er
blieb in seinem Schrank wie bisher, nur die Schubläden kamen heraus.
Wir waren uns einig, dass es sozusagen mit uns wachsen würde. Ich gab
ihm kleine Tipps über Make -Up oder die richtige Kleidergröße, was
mir ermöglichte, mich damit zu beschäftigen, ohne ihm zu nahe zu
kommen. Später ging ich mit ihm Sachen Einkaufen, damit konnte ich ihm
helfen und mich doch fern genug halten. Mit kleinen Schritten arbeiteten
wir uns auf einen Kompromiss zu, der für mich, ihn und uns beide
annehmbar wäre.
Den Kindern wollten wir es aus zwei
Gründen nicht erzählen. Zum ersten gibt es sowieso viel in unserem
Leben, das wir für uns behalten. Manche Dinge erzählt man einem Kind
nicht, außer es fragt oder es ist notwendig geworden, dass es davon erfährt.
In früheren Jahren haben wir den Kindern nie erzählt, dass wir uns
gestritten hatten. Kinder haben genügend eigene Kämpfe zu bewältigen,
während sie aufwachsen und haben nicht die Kraft, sich noch mit
weiteren Schwierigkeiten zu befassen. Inzwischen sind sie älter und
vermuten schon etwas, aber sie haben genug erfahren, um damit leben zu können.
Auch den Nachbarn oder Freunden haben wir es aus zwei Gründen nicht erzählt:
Erstens ist es unsere eigene Sache, geht andere ebenso wenig etwas an
wie unser Liebesleben und unsere Finanzen. Und zweitens ist dieser
kleine Kreis von Leuten auch nicht anders als ich war. Sie haben
dieselben Vorurteile und Fehlinformationen, die ich auch hatte. Wir können
nun einige ihrer Eigenarten eher würdigen, aber ich würde keinem von
ihnen von meinem Mann erzählen. Ob ich es akzeptiere? Ja, doch, ein bisschen.
Ob ich es verstehe? Nicht ganz, aber ich versuche es weiter. Aber ich
habe auch nie verstanden, wie er und sein Freund im tiefsten Winter
angeln gehen konnten, oder warum er sich diese alten
John-Wayne-Kriegsfilme so gern anschaut. Ich muss vielleicht auch nicht
alles verstehen.
Geholfen hat mir, dass wir bei
einer Gruppe für Transvestiten und ihre Frauen mitgemacht haben. Ich
erfuhr mehr über die unterschiedlichen Ausformungen der
Heterosexuellen, Transsexuellen und sogar Homosexuellen und auch die
Unterscheidung, was sie sind und was mein Mann ist. Es sind alles anständige
Leute. Ich sprach mit den anderen Frauen und stellte fest, dass meine
Reaktionen, Gewöhnung oder Unterstützung auch nicht viel anders waren
als ihre. Es ist fair von meinem Mann, wenn er von mir erwartet, dass
ich als Partnerin etwas über ihn lerne, aber es ist auch fair, dass er
dann einen Schritt zurücktritt um mir Zeit und Raum zum Überlegen zu
geben. Es ist fair, wenn er von mir erwartet, dass ich einen Weg zum
Verständnis finde, aber es ist auch fair, dass er sich kundig macht,
und dass er Verständnis für mich findet. Und es ist fair, dass er
seine weibliche Seite nach außen zeigen darf, aber ich brauche auch die
Unterstützung von seiner männlichen Seite. Er kann gern im Nylonpyjama
schlafen, aber ab und zu mag ich ihn lieber im Doppelripp.
Inzwischen ist dies ein Teil unserer Ehe geworden, der wie alles andere
Verständnis, Einfühlung, Anerkennung, Kompromisse, Veränderungsbereitschaft
und Liebe erfordert. Vor allem anderen muss die Zuneigung erhalten
bleiben. Wir haben uns sehr verändert in den 26 Jahren unserer Ehe,
doch die Liebe füreinander war der Schlüssel mit dem wir die Veränderungen
bewältigt haben. Von den ursprünglichen Gründen unserer Heirat ist
kaum etwas geblieben, außer der Liebe. Die Veränderungen begannen an
dem Tag, an dem wir zusammen in eine Wohnung zogen. Die Veränderung war
das einzig Beständige, während wir unsere berufliche Entwicklung
verfolgten, die Kinder großzogen und unsere Rechnungen bezahlten. Das
einzig Beständige ist auch weiterhin die Veränderung, nur unsere
Zuneigung bleibt der stabilste Teil.
In der Ehe regeln sich die meisten Dinge fast von selbst, vorausgesetzt,
ein Paar liebt sich wirklich. Der zweitwichtigste Punkt neben der
gegenseitigen Liebe ist Kommunikation: sich zusammensetzen und
miteinander reden. Es ist in Ordnung, Verwirrung, Verletzung oder Ärger
zu empfinden, nur ist es wichtig herauszufinden, warum wir verwirrt,
verletzt oder verärgert sind. Ein Ehepartner, der Transvestit ist, wird
es auch bleiben, aber er muß sich selbst auch verstehen lernen und
wissen, wie dadurch das gemeinsame Leben beeinträchtigt wird. Die
gegenseitige Zuneigung wird auf die Probe gestellt.
So, mein Mann ist Transvestit, und daran gibt es Seiten, die ich mag und
Seiten, die ich nicht mag. Aber wie alles andere, was wir im Laufe der
Jahre miteinander geteilt haben, haben wir Wege und Möglichkeiten
gefunden, damit klarzukommen. Von hier aus sieht das nächste halbe
Jahrhundert gar nicht mal so schlecht aus.
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